Weitere Förderung für Forschung zum Zelltod
3,5 Millionen Euro für trinationale Forschergruppe zur Regulation des programmierten Zelltods
Der programmierte Zelltod ist wesentliche Voraussetzung des Lebens, und seine Mechanismen sind nicht nur im Zusammenhang mit der Erforschung von Krebserkrankungen von großem Interesse. Hinter der trinationalen Forschergruppe FOR 2036, deren Sprecher Prof. Dr. Thomas Brunner ist, Professor für Biochemische Pharmakologie an der Universität Konstanz, steht ein Verbund deutscher, Schweizer und österreichischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, der sich seit Anfang 2014 der Frage widmet, wie der programmierte Zelltod, die sogenannte Apoptose, reguliert wird. Dass die Forschergruppe mit ihren neun Teilprojekten auf sehr gutem Weg ist, wurde aktuell dadurch bestätigt, dass sie für drei weitere Jahre von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) mit 3,5 Millionen Euro gefördert wird.
Eine zentrale Rolle in der Regulation des programmierten Zelltods spielt eine Gruppe strukturell ähnlicher Proteine, die sogenannten Bcl-2-Proteine, die ein komplexes funktionales Netzwerk bildet. Der Titel der Forschergruppe, „New insights into Bcl-2 family interactions: from biophysics to function”, weist darauf hin, dass die Arbeitsgruppen die Fragestellung auf unterschiedlichen Ebenen bearbeiten. Ihre Forschung reicht von in vitro-Ansätzen der Biophysik und Biochemie über zellbiologische oder systembiologische Verfahren bis hin zu klinischen Methoden und Ansätzen, bei denen Zellen von Tumorpatienten auf ihr charakteristisches Muster von Bcl-2-Proteinen sowie Zelltodverhalten hin untersucht werden. „Wir haben große Ressourcen in diesem Konsortium, die es uns erlauben, Projekte flexibel und schnell anzugehen“, sagt Thomas Brunner zu den Synergien im Forschungsverbund.
Wozu überhaupt programmierter Zelltod?
Wie wichtig es ist, Zellen durch Apoptose abzubauen, ist etwa beim Immunsystem zu sehen: Nach überstandener Infektion müssen Granulozyten oder Lymphozyten durch programmierten Zelltod wieder auf ein normales Niveau herunterreguliert werden. Diese Zelltodinduktion scheint bei Leukämiezellen nicht mehr zu funktionieren. Wie das Netzwerk der Bcl-2-Familie beeinflusst werden kann, ist also eine der zentralen Fragen der Tumorforschung. Ihre „Familienmitglieder“ können den Zelltod verhindern oder fördern, erst die jeweiligen Interaktionen sind entscheidend. Wird der Zelltod ausgelöst, geschieht dies auf dem Weg, dass sich bestimmte Moleküle (als „Bax“ und „Bak“ bezeichnet) in der äußeren Membran der Mitochondrien der Zelle einlagern und dadurch Poren bilden, wodurch der weitere Abbau eingeleitet wird. Die Poren-bildende Wirkung positiv zu beeinflussen ist daher ein Ziel der Tumortherapie.
Grundlagenforschung, die in der Klinik Fuß fasst
Die überlebensfördernden Bcl-2-Homologe, die in vielen Tumorzellen verstärkt auftreten, können durch sogenannte BH3-Moleküle behindert werden. Eine neue Klasse von Molekülen, die aus der Forschung heraus entwickelt wurde, ist nun in der Lage, diese BH3-Moleküle nachzuahmen („BH3 mimetics“). Auch diese Substanzen fördern die Porenbildung und damit den Zelltod. „In diesem Jahr wurde diese Substanzklasse von der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) für die Behandlung bestimmter Formen der Leukämie zugelassen. Man kann also sagen, dass hier Grundlagenforschung sehr schnell in der Klinik Fuß gefasst hat. Einer unserer klinischen Kollegen, PD Dr. Philipp Jost am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität in München, wird an diesen klinischen Studien beteiligt sein“, erklärt Thomas Brunner.
Poren erstmals sichtbar gemacht
Ein weiteres Highlight für die Forschergruppe ist, dass die Poren, die zuvor nur aufgrund von Berechnungen und biochemischen Untersuchungen postuliert worden waren, erstmals von der Biophysikerin Prof. Dr. Ana García-Sáez (Universität Tübingen) mittels hochauflösender Mikroskopie nachgewiesen werden konnten. „Die biophysikalischen Untersuchungsmethoden sind sehr reduktionistisch und erlauben, Funktionen dieser Proteine fast auf physikalischer Ebene zu studieren. Das ist ein ganz wichtiger Ansatz gewesen für verschiedenste Mitglieder dieser Forschergruppe“, erläutert Thomas Brunner.
Universität Konstanz: Mathematische Modelle erlauben Vorhersagen
An der Universität Konstanz wird daran gearbeitet, das komplexe Muster möglicher Interaktionen mathematisch zu erfassen. Der Konstanzer Bioinformatiker Prof. Dr. Tancred Frickey und die Doktorandin Annika Hantusch entwickeln in Kooperation mit Thomas Brunner und Prof. Dr. Markus Morrison aus Stuttgart Modellsysteme, die die Interaktionen der Familienmitglieder simulieren können. Das wird Voraussagen darüber erlauben, wie eine Zelle, die ein bestimmtes Muster der Bcl-2-Homoge aufweist, auf bestimmte chemotherapeutische Substanzen reagieren wird. „Wir haben große Fortschritte gemacht in der Entwicklung des mathematischen Modells, und wir haben auch Daten, die in der Literatur verfügbar sind, in einer Datenbank zusammengefasst. Auf der entsprechenden Webseite der Universität Konstanz können diese Interaktionen direkt abgefragt werden.“ Ob ein Patient positiv auf eine bestimmte Behandlung anspricht, könnte künftig auch durch die mathematische Analyse vorhersehbar sein, ohne die Patienten mit Medikamenten belasten zu müssen, von denen anzunehmen ist, dass sie wirkungslos bleiben.
Faktenübersicht:
Die Forschergruppe „New insights into Bcl-2 family interactions: from biophysics to function“ (FOR 2036) wurde 2013-2016 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) sowie dem Schweizerischen Nationalfonds (SNF) gefördert. Die zweite Förderperiode 2017-2020 wird durch die DFG und den FWF mit insgesamt 3,5 Millionen Euro gefördert. Prof. Dr. Thomas Brunner, Professur für Biochemische Pharmakologie an der Universität Konstanz, ist Sprecher der Forschergruppe mit Sitz in Konstanz.
Forschergruppe FOR 2036, Institutionen und Mitglieder:
Universität Konstanz (D): Prof. Dr. Thomas Brunner, Prof. Dr. Tancred Frickey
Universität Freiburg (D): Dr. Miriam Erlacher, Prof. Dr. Christoph Borner, Prof. Dr. Georg Häcker
Universität Tübingen (D): Prof. Dr. Ana García Sáez
Technische Universität München (D): PD Dr. Philipp Jost
Universität Stuttgart (D): Prof. Dr. Markus Morrison (-Rehm)
Universitätskliniken Salzburg (A): PD Dr. Alexander Egle
Medizinische Universität Innsbruck (A): Prof. Dr. Andreas Villunger
Universität Bern (CH): Prof. Dr. Thomas Kaufmann (assoziiert)
Abb. 1: Mikroskopischer Nachweis der Cytochrome c-Freisetzung während der Apoptose. Links eine Gruppe von Leberkrebszellen, welche Cytochrome c (grün) noch in den Mitochondrien halten, rechts die gleichen Zellen 5 Minuten später mit einer Zelle (Pfeil), welche ihr Cytochrome c bereits ins Zytoplasma ausgeschüttet hat und nun sterben wird.
Abb. 2: Die Web-basierte Datenbank "Bcl-2-ome" der Bcl-2-Familien-Interaktionen (for2036.uni-konstanz.de/Bcl2Ome/index.php)