A great tit with the bounding box illustrating the individual identification performed by the computer. Image: André Ferreira

Vögel in freier Wildbahn identifizieren

Ein internationales Team unter Beteiligung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Konstanz und des Konstanzer Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie trainiert Computer mittels Künstlicher Intelligenz darin, einzelne Vögel voneinander zu unterscheiden

Zum ersten Mal ist es Wissenschaftlern gelungen, Computer mittels Künstlicher Intelligenz (KI) so zu trainieren, dass sie einzelne Vögel in freier Wildbahn wiedererkennen – eine für Menschen nahezu unmögliche Aufgabe. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts – unter Beteiligung des Exzellenzclusters „Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour“ der Universität Konstanz – wurden in der Fachzeitschrift Methods in Ecology and Evolution der British Ecological Society veröffentlicht.

„Wir zeigen, dass Computer Dutzende einzelner Vögeln zuverlässig erkennen können, auch wenn wir selbst die Tiere nicht unterscheiden können. Damit überwinden wir eine der größten Beschränkungen bei der Erforschung wild lebender Vögel: verlässlich einzelne Tiere wiederzuerkennen“, so Dr. André Ferreira vom Centre d‘Ecologie Fonctionnelle & Evolutive (CEFE), Frankreich, Erstautor der Studie.

Freilebende Vögel ohne Kennzeichnung identifizieren
Die neu entwickelte Methode wird es ermöglichen, Forschung, die bisher nur im Labor möglich war – wo vergleichbare Methoden bereits seit einigen Jahren zum Einsatz kommen –, in freier Natur zu reproduzieren. „Die Möglichkeit, freilebende Vögel nachzuverfolgen, ohne sie eigens zu kennzeichnen, stellt in unserem Forschungsbereich die vielleicht größte methodische Verbesserung der letzten Jahrzehnte dar, zumindest seit der Miniaturisierung der GPS-Sender, die an Zugvögeln angebracht werden,“ sagt Mitautor Dr. Damien Farine, Nachwuchsgruppenleiter an der Universität Konstanz und dem Konstanzer Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie.

Ein Forschungsteam aus Frankreich, Deutschland, Portugal und Südafrika beschreibt in der Studie, wie Künstliche Intelligenz zur Erkennung einzelner Vögel eingesetzt werden kann. Zum Training und Test der KI-Systeme waren tausende von gekennzeichneten Bildern der Tiere erforderlich. Diese Studie ist der erste erfolgreiche Versuch mit Vögeln im Bereich der automatischen Bilderkennung.

Treffergenauigkeit von 90 Prozent
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler trainierten die KI-Systeme mit Bildern einzelner Vögel aus Wildpopulationen von Kohlmeisen und Webervögeln sowie einer Population gefangener Zebrafinken, die zu den verhaltensökologisch am meisten erforschten Vögeln zählen. Nach dem Training wurden die KI-Systeme mit neuen, ihnen unbekannten Aufnahmen derselben Vögel getestet. Dabei kamen sie auf eine Treffergenauigkeit von 90 Prozent bei den Wildpopulationen und 87 Prozent bei den Zebrafinken.

In der Tierverhaltensforschung zählt die Identifikation einzelner Tiere zu den zeitaufwendigsten und auch teuersten Faktoren, was sowohl den Umfang untersuchter Verhaltensweisen der Tiere als auch die untersuchbare Größe der Tierpopulationen einschränkt. Bisherige Identifikationsmethoden wie das Anbringen von Farbbändern an den Beinen der Vögel können für die Tiere potenziell belastend sein.

KI-Systeme könnten diese Probleme lösen. Dr. André Ferreira erklärt: „Die Entwicklung von Methoden zur automatischen, nicht-invasiven Identifikation von Tieren ganz ohne Markierung oder Eingriffe durch Wissenschaftler stellt einen wichtigen Durchbruch in diesem Forschungsfeld dar. Dies eröffnet unzählige Anwendungsmöglichkeiten für unser System und ermöglicht es, bislang unlösbare Fragen nun zu beantworten.“

Künstliche Intelligenz trainieren
Damit KI-Anwendungen einzelne Tiere exakt wiedererkennen können, müssen sie mit tausenden von gekennzeichneten Bildern trainiert werden. Unternehmen wie Social-Media-Anbieter können ein solches KI-Training im Bereich der Bilderkennung von Menschen umsetzen, weil sie Zugang zu Millionen von Bildern haben, die von den Nutzern freiwillig getaggt wurden. Beschriftetet Bilder von Tieren zu erhalten ist jedoch sehr viel schwieriger und führte zu einem Engpass in der Forschung.

Die Forscherinnen und Forscher versahen hierfür Futterstellen mit Kamerafallen und Sensoren. Die meisten Vögel aus der Studie trugen einen passiv-integrierten Transponder (PIT), ähnlich den Mikrochips, die bei Hauskatzen und Hunden eingesetzt werden. Antennen auf den Futterstellen konnten hierüber die Identität der Vögel aus dem Transponder auslesen und die Kamera auslösen.

Lösung bestehender Probleme der Bilderkennung
Einzelne Tiere voneinander unterscheiden zu können ist wichtig für die Langzeitbeobachtung von Populationen und für den Schutz der Arten vor Belastungen wie dem Klimawandel. Manche Tiere, zum Beispiel Leoparden, haben ein sehr charakteristisches Muster, über das wir einzelne Tiere mit bloßem Auge wiedererkennen können. Bei den meisten Arten sind jedoch zusätzliche visuelle Markierungen wie Farbbänder an den Beinen der Vögel nötig, damit wir Menschen sie auseinanderhalten können. Selbst dann sind solche Methoden extrem zeitaufwendig und fehleranfällig.

KI-Methoden – wie die in dieser Studie vorgestellte – nutzen eine Art des „Deep Learning“, das sogenannte Convolutional Neural Network, das sich hervorragend für die Lösung von Problemen der Bilderkennung eignet. In der Ökologie werden diese Methoden bereits zur Identifizierung von Tieren im Bereich spezifischer Arten eingesetzt, darunter einzelne Primaten, Schweine und Elefanten. Bislang wurde dies aber noch nicht bei kleineren Tieren, wie zum Beispiel Vögeln, versucht.

Die Autoren weisen darauf hin, dass das KI-System nur Tiere identifizieren kann, die es bereits kennt. „Das Modell kann Vögel auf neuen Bildern identifizieren, solange ihm die individuellen Vögel auf diesen Fotos vertraut sind. Das bedeutet, dass der Computer neu hinzukommende Vögel, die sich einer Population anschließen, nicht erkennen kann“, sagte Dr. André Ferreira.

Das Erscheinungsbild einzelner Vögel kann sich im Laufe der Zeit verändern, zum Beispiel während der Mauser, und bislang ist unklar, welche Auswirkungen dies auf die Leistung des KI-Systems haben wird. Bilder desselben Tieres, die im Abstand von einigen Monaten aufgenommen werden, könnten fälschlicherweise als Bilder von verschiedenen Vögeln interpretiert werden.

Die Autoren schildern, dass diese Einschränkungen aber durch ausreichend große Datensets mit tausenden, über längere Zeiträume hinweg aufgenommenen Bildern von einer Vielzahl an Tieren überwunden werden können. Die Forscherinnen und Forscher arbeiten gegenwärtig daran, diese Bilddaten zusammenzustellen.

Faktenübersicht:

  • Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler trainieren Computer mit KI-Methoden darin, einzelne Vögel in freier Wildbahn zu erkennen – eine Aufgabe, an der Menschen scheitern.
  • Am Projekt beteiligt sind Dr. Damien Farine und Dr. Hanja Brandl, beide vom Exzellenzcluster „Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour“ der Universität Konstanz und dem Konstanzer Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie.
  • Die KI-Systeme wurden mit Bildern einzelner Vögel aus Wildpopulationen von Kohlmeisen und Webervöglen trainiert, ebenso von einer Population gefangener Zebrafinken, die zu den verhaltensökologisch am meisten erforschten Vögeln zählen.
  • Originalveröffentlichung: Deep learning-based methods for individual recognition in small birds. Methods in Ecology and Evolution. Andre Ferreira, Liliana Silva, Francesco Renna, Hanja Brandl, Julien Renoult, Damien Farine, Rita Covas, Claire Doutrelant.
  • DOI: https://doi.org/10.1111/2041-210X.13436
  • Link: https://besjournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/2041-210X.13436
  • Beteiligte Einrichtungen: Centre d‘Ecologie Fonctionnelle & Evolutive (CEFE), Universität Porto, Konstanzer Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie, Universität Paris-Saclay, Universität Konstanz, UCT FitzPatrick Institute of African Ornithology