Elektronenimpulse (grün) werden mittels eines Strahls aus Laser-erzeugter Terahertz-Strahlung (rot) in Raum und Zeit verkippt. Bild: Prof. Dr. Peter Baum
Elektronenimpulse (grün) werden mittels eines Strahls aus Laser-erzeugter Terahertz-Strahlung (rot) in Raum und Zeit verkippt. Bild: Prof. Dr. Peter Baum

Verkippte Impulse

Der Konstanzer Physiker Prof. Dr. Peter Baum und sein Team erzeugten in einer Kooperation mit Instituten aus München extrem kurze und speziell geformte Elektronenimpulse für Materialstudien im Femstosekunden- oder Attosekundenbereich

Die Welt besteht im Wesentlichen aus Atomen und Elektronen, die sich sehr schnell bewegen. Zwar erreichen moderne Elektronenmikroskope genug räumliche Auflösung, um Atome sichtbar zu machen, aber um auch deren Bewegungen nachzuvollziehen, sind außerdem ultrakurze Messzeiten nötig: im Femtosekunden- und Attosekunden-Bereich. Solche extrem schnellen „Kamera-Verschlusszeiten“ sind durch ultrakurze Elektronenimpulse zu erreichen, die kürzer sind als die ablaufenden Prozesse. Je kürzer der Impuls, desto höher die Auflösung. Ebenso wichtig ist jedoch eine spezielle Formung dieser Impulse in Raum und Zeit, die an die Gegebenheiten der zu untersuchenden Substanz angepasst werden muss.

Nun ist es dem Konstanzer Physiker Prof. Dr. Peter Baum und seinem Team gelungen, ultrakurze Elektronenimpulse direkt mit den Lichtwellen von Laserlicht in Raum und Zeit zu steuern und zu kontrollieren, nicht wie bisher mit Mikrowellen. Neben einer daraus resultierenden Verkürzung der Impulsdauer konnten die Forscher außerdem die Impulse „verkippen“, das heißt, sie in eine andere Richtung laufen lassen als senkrecht zur Impulsfront. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Physical Review Letters nachzulesen.

Verkippte Impulse aus Elektronen bieten ein großes Potenzial für Materialstudien, in denen die grundlegenden Veränderungen nur Femtosekunden oder Attosekunden dauern, das sind Zeiträume zwischen 10-15 und 10-18 Sekunden. Diese Zeiten entsprechen der Dauer von Atomschwingungen in Kristallen oder Molekülen beziehungsweise der Dauer einer einzelnen Schwingung von Licht. Verkippte Impulse sind darüber hinaus für Freie-Elektronen-Laser interessant, um mit noch intensiveren und kürzeren Röntgenblitzen ebenfalls ultraschnelle Prozesse analysieren zu können. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Elektronenimpulse jetzt ebenso vielseitig geformt und gesteuert werden können wie Laserimpulse, allerdings mit der mehr als tausendfach höheren Bildauflösung der modernen Elektromikroskopie“, fasst Peter Baum zusammen.

Die Quantenmechanik lehrt, dass im Allerkleinsten die Eigenschaften von Objekten in Paaren verknüpft sind, wie zum Beispiel Ort und Impuls in der Unschärferelation. Was gehört in diesem Sinne zur Verkippung? Aus der Laseroptik ist schon lange bekannt, dass die Farben in verschiedene Richtungen laufen müssen, dass also sogenannte Winkeldispersion vorhanden sein muss. Mit ihren Experimenten fanden die Wissenschaftler aus Konstanz und München nun heraus, dass diese Gesetze der Laseroptik ebenso für die Materiewellen von Elektronen gelten, selbst wenn die Elektronen eine Ruhemasse haben und nicht wie Laserlicht kohärent sind.

Es lässt sich vermuten, dass die gemessenen Beziehungen zwischen Verkippung und Winkeldispersion sogar generell für alle Wellenphänomene in der Physik ihre Gültigkeit behalten. In diesem Sinne ist nun die erzielte Formung von Elektronenimpulsen in Raum und Zeit nicht nur von praktischem Nutzen für die ultraschnelle Materialforschung, sondern auch von einem grundlegenden physikalischen Interesse.

Originalveröffentlichung:

Dominik Ehberger, Andrey Ryabov, and Peter Baum. Tilted Electron Pulses. Phys. Rev. Lett. 121, 094801 (2018).

DOI: https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.121.094801

Faktenübersicht:

  • Technik zur Formung von Elektronenpulsen in Raum und Zeit für Materialstudien im Femstosekunden- oder Attosekundendenbereich
  • Kooperation der Universität Konstanz mit der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik München
  • Das Projekt wurde unterstützt vom Europäischen Forschungsrat und dem Munich-Centre for Advanced Photonics der LMU