Neuzuwanderer in Deutschland
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert Studie zu frühen Integrationsverläufen in Deutschland – Kooperationsprojekt zwischen den Universitäten Konstanz, Göttingen und Bamberg
Im Jahr 2015 kamen über zwei Millionen Migranten nach Deutschland, knapp die Hälfte von ihnen aus einem Mitgliedsstaat der EU. Um die Realität hinter diesen Zahlen der amtlichen Statistik zu verstehen, benötigt die Gesellschaft Informationen über den Verlauf von Zuzugs- und Integrationsprozessen. In dem Projekt „Aktuelle europäische Binnen- und Flüchtlingsmigration nach Deutschland. Zuzugsprozesse und frühe Integrationsverläufe“ werden in den kommenden drei Jahren rund 6.000 Geflüchtete sowie aus anderen Motiven Zugewanderte in vergleichender Perspektive nach ihren Merkmalen, Erfahrungen und Plänen befragt. Die groß angelegte Datenerhebung wird auch untersuchen, wie sich die Eingliederungsmuster ganz unterschiedlicher Gruppen wie hochqualifizierter Einwanderer, Geflüchteter oder EU-Migrantinnen und -Migranten unterscheiden. Die Studie wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit 1,7 Millionen Euro gefördert. Sprecherin des Kooperationsprojekts mit den Universitäten Göttingen und Bamberg ist die Konstanzer Soziologin Prof. Dr. Claudia Diehl. Befragt werden Einwanderer aus sechs verschiedenen Ländern, die seit maximal drei Jahren in Deutschland leben.
„In die Integration jüngst Zugewanderter wird derzeit viel investiert. Aber wir verstehen noch zu wenig, welche Individual- und Kontextmerkmale ihr Integrationsverhalten beeinflussen und wie sich die unterschiedlichen Zuwanderertypen diesbezüglich unterscheiden. Gleiches gilt für die Frage, ob Integration überhaupt für alle Gruppen noch das angemessene Leitkonzept ist“, sagt Claudia Diehl, die an der Universität Konstanz zum Thema Migration forscht. Zu den befragten Gruppen gehören nicht nur Geflüchtete, sondern auch klassische Arbeitsmigranten. Mit der Zusammenstellung aus polnischen, rumänischen, italienischen und türkischstämmigen Migranten sowie syrischen und irakischen Zuwanderern als größte Flüchtlingsgruppen wird der zunehmenden Diversität der Zuwanderung in Deutschland Rechnung getragen. „Die Integrationsforschung hat zu lange fast ausschließlich auf die als Gastarbeiter Zugewanderten und ihre Nachkommen geschaut“, sagt Claudia Diehl.
Um berücksichtigen zu können, wie sich der aktuelle Zuzugsprozess in Deutschland mit der größeren Diversität verändert hat, werden Menschen befragt, die in den vergangenen drei Jahren nach Deutschland gekommen sind. Weil sich diese noch gut erinnern können, gestattet es dieser innovative Ansatz, offene Fragen der Migrationsforschung zu beantworten. Claudia Diehl: „Damit können wir die vielen unterschiedlichen Faktoren, die Integration beeinflussen, besser auseinanderhalten als bislang. Wie wirken Individualmerkmale wie bei der Ankunft vorhandene Bildungsabschlüsse und Sprachkenntnisse auf Integrationsprozesse und welche Rolle spielen Eingliederungsbedingungen im Zielland?“
Dabei ist von Interesse, inwiefern sich die Gruppen untereinander unterscheiden, etwa hinsichtlich ihres religiösen Hintergrunds. Durch die hohen Fallzahlen kann aber auch der gruppeninternen Diversität Rechnung getragen werden, die offenbar gerade bei den Geflüchteten beachtlich ist. Eine wichtige Leitfrage des Projekts ist vor diesem Hintergrund, ob Geflüchtete überhaupt einen typischen Integrationsverlauf aufweisen: „Im Prinzip stehen alle vor ähnlichen Herausforderungen“, so die Soziologin Claudia Diehl.
Die Menschen sollen zweimal befragt werden. Um die frühen Integrationsabläufe abzudecken, werden eineinhalb Jahre zwischen den beiden Fragerunden liegen. In dieser Zeit passiert erfahrungsgemäß viel im Bereich der sozialen Kontakte, auf dem Arbeitsmarkt, aber auch in der Wahrnehmung des aufnehmenden Landes durch die Migranten. Um hohe Fallzahlen zu ermöglichen und gleichzeitig die Kosten zu begrenzen, wird auch eine innovative Umfragemethode zum Einsatz kommen: Die zufällig ausgewählten Studienteilnehmenden werden in ihren Herkunftssprachen angeschrieben und können zwischen den Möglichkeiten Online-Fragebogen, telefonischer oder mündlicher Befragung durch eine Interviewerin wählen. Darüber hinaus erhalten sie für ihre Teilnahme einen finanziellen Anreiz. Es ist geplant das Projekt um eine international vergleichende Komponente zu erweitern, derzeit arbeiten Fachkollegen Diehls in Kanada an einem entsprechenden Antrag.
Dieser Vergleich von Zuwanderern unterschiedlicher Herkunft basiert auf einem zurückliegenden internationalen Verbundprojekt, in dem Neuzuwanderer in Deutschland, den Niederlanden, Großbritannien und Irland untersucht wurden und bei dem Claudia Diehl als „Principal Investigator“ fungierte. Die Soziologin, die unter anderem Mitglied im Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration und am Konstanzer Forschungsschwerpunkt „Political Dimensions of Inequality“ beteiligt ist, geht davon aus, dass – wie bei der Vorgängerstudie – die Ergebnisse neben ihrer Veröffentlichung in Fachjournalen in die Politikberatung einfließen werden. Claudia Diehl: „Für das, was in den nächsten Jahren auf uns zukommt, ist es wichtig zu wissen, wer überhaupt nach Deutschland gekommen ist und welche Zukunftspläne die Zugewanderten haben.“
Faktenübersicht:
- Projekt „Aktuelle europäische Binnen- und Flüchtlingsmigration nach Deutschland. Zuzugsprozesse und frühe Integrationsverläufe“
- Befragung von je Eintausend Mitglieder der Einwanderungsgruppen aus den sechs Ländern Polen, Rumänien, Italien, Türkei, Syrien und Irak.
- Projektdauer drei Jahre mit Beginn im September 2017
- Kooperationsprojekt mit Beteiligung von Prof. Dr. Claudia Diehl (Universität Konstanz), Prof. Dr. Matthias Koenig (Universität Göttingen) und Prof. Dr. Cornelia Kristen (Universität Bamberg)
- Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in Höhe von 1,7 Millionen Euro
- Teil des Forschungsschwerpunktes „Political Dimensions of Inequality“ der Universität Konstanz.