„Mineral-Kunststoff“ mit hohem Potenzial für die Zukunft
Völlig neue Kunststoff-Klasse ist von der Natur inspiriert und leicht abbaubar
Herkömmliche Kunststoffe werden auf Erdölbasis hergestellt und stellen für die Umwelt ein Problem dar, da sie nicht abbaubar sind. Die Arbeitsgruppe um den Konstanzer Chemiker Prof. Dr. Helmut Cölfen hat nun einen völlig neuartigen „Mineral-Kunststoff“ hergestellt, der sich strukturell an Biomaterialien anlehnt. Der Kunststoff ist ein so genanntes Hydrogel, das bei Raumtemperatur aus Kalk (amorphem Calciumcarbonat) und Polyacrylsäure in Wasser hergestellt werden kann. Er kann direkt recycelt oder auch umgeformt werden und ist im gelartigen Zustand „selbstheilend“. In getrocknetem Zustand hat das Hydrogel die Konsistenz einer Krabbenschale und ist biegsam. Das nicht-toxische plastische Material könnte in Zukunft klassische Kunststoffe teilweise ersetzen und dadurch zur Lösung von Umweltproblemen beitragen. Veröffentlicht wurde die Arbeit soeben in der Zeitschrift Angewandte Chemie (DOI: 10.1002/anie.201606536).
Konventionelle Kunststoffe sind in der Regel biologisch nicht abbaubar, und auch der Prozess des Recyclings erfordert wieder Energie. Die Herstellung des Mineral-Kunststoffes durch die Konstanzer Arbeitsgruppe entspricht dem Leitbild der „Grünen Chemie“ und wurde inspiriert durch Mineralisationsprozesse in der Natur, die auf Basis von Calciumcarbonat ablaufen. Das Hydrogel, das Kunststoffe ersetzen könnte, besteht aus Nano-Partikeln von Calciumcarbonat, die durch Polyacrylsäure vernetzt werden. Das ohne Energiezufuhr bei Raumtemperatur entstehende Hydrogel ist formbar und selbstheilend, da sich etwa Risse durch die Zugabe eines Tropfen Wassers von selbst verschließen. Auch das Zusammenfügen zweier (Bau-)Teile ist auf dieselbe Weise möglich. Die Eigenschaft, bei Erhitzen die Farbe zu ändern, ermöglicht zudem einen Einsatz des Gels als Temperatursensor. Dadurch, dass das Material durch Wasserzugabe leicht und ohne Energieaufwand umgeformt werden kann, ist das Recycling problemlos. Durch Zugabe einer schwachen Säure, etwa von Essig- oder Zitronensäure, löst es sich sprudelnd durch Freisetzung von Kohlendioxid auf. Die zurückbleibende Polyacrylsäure ist ungiftig.
„Das Verfahren der Herstellung des Hydrogels ist unmittelbar für die Industrie adaptierbar, zumal die Ausgangsmaterialien kostengünstig großtechnisch hergestellt werden“, erläutert Helmut Cölfen. Nach Trocknung erhält man ein Material wie Plastik, das nicht leicht zerbricht und biegsam ist. Dadurch ist es als Ersatz für herkömmliches Plastikmaterial für Anwendungen in Trockenheit geeignet, etwa für Elektonikbauteile. Als Weiterentwicklung wäre an Überzugsmaterialien zu denken, die dann aber das Recycling möglichst nicht beeinflussen sollten. Die besondere Quellfähigkeit und gleichzeitige Härte nach Trocknung macht das Material für Bauanwendungen interessant, um Risse aufzufüllen.
Im Vergleich zu Biomineralien ist das Hydrogel formbar, während etwa Knochen oder Zähne hart sind, sobald das Biomineral fertig ausgebildet wurde. Nicht nur im Hinblick auf diese in der Natur ablaufenden Prozesse ist es für die Arbeitsgruppe um Helmut Cölfen an der Universität Konstanz daher interessant, wie die Eigenschaften solcher Gele systematisch verändert und damit noch weitere „Mineral-Kunststoffe“ für spezielle Anwendungen hergestellt werden können. Künftige Forschungsvorhaben werden die neue Substanzklasse auch daraufhin unter die Lupe nehmen, welche medizinischen Anwendungen denkbar sind. Unter anderem sollen weitere Mineralien als Ausgangsstoff getestet werden, und es ist daran gedacht, Polyasparaginsäure als Vernetzungsmittel einzusetzen. Diese ist vollständig biologisch abbaubar.
Originalpublikation:
„Hydrogele aus amorphem Calciumcarbonat und Polyacrylsäure: Bioinspirierte Materialien für ‚Mineral-Kunststoffe‘“. Shengtong Sun, Li-Bo Mao, Zhouyue Lei, Shu-Hong Yu und Helmut Cölfen. Angewandte Chemie (DOI: 10.1002/anie.201606536).