Mehrheit akzeptiert Waffenexporte
Wenn die Bedingungen stimmen, akzeptiert eine Mehrheit Waffenexporte. Eine Studie mit Beteiligung der Universität Konstanz untersucht die Einstellungen der Menschen in Deutschland und Frankreich zu Waffenexporten
Sollten Waffen an andere Länder geliefert werden? Falls ja, unter welchen Bedingungen? Eine Pilotstudie, die ein Jahr vor dem Krieg in der Ukraine in Deutschland und Frankreich durchgeführt wurde, geht der Frage nach, was BürgerInnen in beiden Ländern über Waffenhandel denken, und kommt zum Ergebnis: 10 bis 15 Prozent der Befragten lehnen Waffenlieferungen kategorisch ab, während die Mehrheit von Fall zu Fall abwägt. Hierbei haben moralische Überlegungen das größte Gewicht. Die grundsätzliche Ablehnung und die starke Gewichtung moralischer Aspekte sind unter deutschen Befragten stärker ausgeprägt als unter französischen. Die Studie schließt daraus, dass ein entsprechendes Handeln der deutschen Regierung stärker beschränkt ist, was eine deutsch-französische bzw. europäische Verteidigungspolitik in naher Zukunft erschweren könnte.
Aufbauend auf der Pilotstudie wird nun erhoben, inwiefern der Krieg in der Ukraine die Meinungen verändert hat. In einer großen Folgestudie, die nach Beginn des Krieges in der Ukraine in den fünf größten Waffen exportierenden Ländern USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Italien durchgeführt wurde, ist aktuell die Datenerhebung abgeschlossen. Erste Ergebnisse werden voraussichtlich Ende 2023/Anfang 2024 veröffentlicht.
„Der Ukraine-Krieg wirft ein neues Schlaglicht auf die Studie“, sagt Lukas Rudolph, Juniorprofessor am Konstanzer Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaft, der gemeinsam mit Paul W. Thurner, Professor für Empirische Politikforschung und Policy Analysis an der Ludwig-Maximilians-Universität München, die Untersuchung leitete. Drei Fragen standen im Fokus: Wie ist das zahlenmäßige Verhältnis zwischen den Menschen, die Waffenexporte grundsätzlich ablehnen, und denjenigen, die im Einzelfall abwägen? Welche Kriterien sind im Fall der abwägenden Haltung relativ wichtig oder unwichtig? Und wie unterscheiden sich die Präferenzen der Menschen zwischen Deutschland und Frankreich?
Prinzipiell dagegen
Mittels einer sogenannten quotenrepräsentativen Stichprobe untersuchten die Forscher, wie hoch die Zahl derjenigen ist, die Waffenexporte prinzipiell, also unabhängig von Begleitumständen und Empfängerland, ablehnen. Die Studie zeigt auf, dass 10 bis 15 Prozent der Befragten diese grundsätzliche Haltung einnehmen. Damit entscheiden diese nach Überlegungen, die sich von denjenigen von Regierungen grundlegend unterscheiden. Die Motivation dieser Personen ist überwiegend pazifistisch. „Diese Menschen sind prinzipiell dagegen, dass tödliche Waffen an andere Länder gegeben und dort möglicherweise gewaltsam eingesetzt werden“, erläutert Lukas Rudolph. Aber nicht nur: Auch isolationistische Motivationen könnten ein Grund sein.
Die Mehrheit der Befragten wägt bei Fragen des Waffenexportes jedoch nuanciert deren Rahmenbedingungen ab. Bei der Umfrage mussten die befragten Personen in beiden Ländern exemplarische Waffenexporte anhand dreier grundlegender Dimensionen bewerten. Die ökonomische Dimension beschreibt, inwieweit der Waffenhandel Auswirkungen auf die wirtschaftliche Wohlfahrt im Sinne etwa von Arbeitsplätzen und Einkommen im eigenen Land hat; die geostrategische Dimension beurteilt sicherheitspolitische Auswirkungen. Hier werden Fragen gestellt wie: Handelt es sich beim Empfängerland um einen strategischen Partner? Bei der normativ-moralischen Dimension stehen die Folgen eines Waffenhandels für das Empfängerland im Mittelpunkt. Eine entscheidende Frage könnte hier lauten: Geht der Export in eine Demokratie, in der Frieden herrscht, oder werden die Waffen etwa für einen Angriffskrieg eingesetzt?
Das gleiche Grundkalkül in beiden Ländern
Die Befragten – insgesamt über 6.600 Personen, je zur Hälfte aus Deutschland und Frankreich – mussten mehrere, in der Regel widersprüchliche, Konsequenzen gleichzeitig abwägen, um zu einer Bewertung der Waffengeschäfte zu gelangen. Im Ergebnis legten die Befragten beider Länder den größten Wert auf die normativ-moralischen Kriterien, berücksichtigen aber auch die wirtschaftlichen und strategischen Aspekte. Es zeigt sich, dass die BürgerInnen beider Länder das gleiche Grundkalkül haben, wobei Befragte aus Deutschland normative Kriterien nochmals stärker gewichteten. Zudem ist die prinzipielle Ablehnung von Waffenexporten in Deutschland größer als in Frankreich.
Dies führt dazu, dass Waffenexporte in Umgebungen, die aus normativ-moralischer Sicht kritisch, aber aus strategischer oder ökonomischer Sicht auch vorteilhaft bewertet werden könnten, sowohl von deutschen wie französischen Befragten mehrheitlich abgelehnt würden, diese Ablehnung in Deutschland aber wesentlich stärker ausgeprägt ist. Damit geht einher, dass das Handeln der deutschen Regierung stärker beschränkt ist. Entsprechend werden von einer Mehrheit der Befragten in beiden Ländern insgesamt nur Waffenexporte positiv bewertet, die sowohl in normativ-moralischer, ökonomischer wie strategischer Hinsicht positiv beurteilt werden – wie etwa Exporte in EU-Staaten.
Verteidigungskriege schwächen Bedenken ab
Nicht zuletzt hält die Studie fest, dass die Umstände eines Waffentransfers durchaus die öffentliche Meinung verändern können. So schwächen etwa Verteidigungskriege – wie im Fall der Ukraine – die Bedenken gegen den Handel mit Konfliktstaaten ab.
Eine Schlussfolgerung der Studie lautet, dass aufgrund der unterschiedlichen „strategischen Kulturen“ beider Länder eine weitreichende deutsch-französische bzw. europäische Verteidigungspolitik in naher Zukunft eine Herausforderung sein wird. Beide Länder wären bei jeder Zusammenarbeit auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner in der Waffenexportpolitik gezwungen. Lukas Rudolph beschreibt es aus deutscher Sicht so: „Wenn die deutsche Regierung die Bevölkerung mitnehmen möchte, hat sie es schwerer als die französische Regierung.“ Inwieweit sich das Thema auf tatsächliches politisches Verhalten auswirkt, beispielsweise auf Wahlentscheidungen, wird Gegenstand weiterer Untersuchung sein.
Faktenübersicht:
- Originalpublikation: Lukas Rudolph, Markus Freitag, Paul W. Thurner: Deontological and consequentialist preferences towards arms exports: A comparative conjoint experiment in France and Germany. European Journal of Political Research. DOI: doi.org/10.1111/1475-6765.12617
- Studie mit rund 6.600 Befragten zur Einstellungen der Menschen in Deutschland und Frankreich zu Waffenexporten
- In beiden Ländern ist eine Minderheit prinzipiell gegen Waffenexporte, die große Mehrheit nimmt jedoch nuancierte Abwägungen vor
- Unterschiedliche Ausprägungen in Deutschland und Frankreich
- Unter der Leitung von JunProf. Dr. Lukas Rudolph, Juniorprofessor für Political Behavior an der Universität Konstanz, und Prof. Dr. Paul Thurner, Professor für Empirische Politikforschung und Policy Analysis an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), an der LMU München durchgeführt
- Gefördert durch die Deutsche Stiftung Friedensforschung.