„Linkshändige“ Fische
Konstanzer Biologen finden Zusammenhänge zwischen „Händigkeit“, Gehirnstruktur und Genen bei extrem spezialisierten Buntbarschen
Ob rechte oder linke Hand, spielt für uns Menschen eine große Rolle. Die überwiegende Mehrheit bevorzugt die rechte Körperseite, nur rund drei Prozent der Menschen sind mit beiden Händen gleichermaßen trainiert. Mit ihrer Präferenz für eine Körperhälfte sind Menschen nicht allein: Auch im Tierreich tritt das Phänomen auf, unter anderem bei Menschenaffen oder auch Vögeln, wenn auch häufig nicht so auffällig wie beim Menschen. Besonders ausgeprägt ist die „Händigkeit“ allerdings beim Buntbarsch Perissodus microlepis, der im afrikanischen Tanganjikasee beheimatet ist.
Diese Art von Buntbarsch ist extrem spezialisiert, denn sie frisst ausschließlich Schuppen von anderen Fischen, und zudem immer nur von einer Seite seiner Beutefische. Individuen zeigen nicht nur in ihrem Jagdverhalten eine deutliche Vorliebe für jeweils eine Seite, von der aus sie ihre Beute angreifen, auch die Kopfform der Fische spiegelt diese Präferenz wider: Bei vielen dieser Buntbarsche ist das Maul nicht symmetrisch, sondern asymmetrisch und weist eine Biegung nach links oder rechts auf. Biologen der Universität Konstanz untersuchten nun Zusammenhänge der Seitenpräferenz des Buntbarsches mit der Struktur seines Gehirns und dessen „angeschalteten“ Genen. Das Team von Prof. Dr. Axel Meyer, Professor für Zoologie und Evolutionsbiologie an der Universität Konstanz, zeigten, dass die Seitenpräferenz des Fressverhaltens wie auch die Anatomie der Köpfe mit einer Asymmetrie der Gehirnhälften sowie mit unterschiedlicher Aktivität ihrer Gene in verschiedenen Hirnhälften korreliert. Die Forschungsergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals „Genome Biology and Evolution“ veröffentlicht.
„Unsere Forschung hilft dabei, die Grundlagen der Händigkeit und der Asymmetrie im Gehirn besser zu verstehen. Wir hoffen, dass unsere Erkenntnisse auch zum Verständnis der Händigkeit beim Menschen beitragen“, schildert der Konstanzer Biologe Dr. Ralf Schneider, zusammen mit Dr. Hyuk Je Lee einer der Hauptautoren der Studie.
Die Biologen dokumentierten in ihrer Studie zunächst die Seitenpräferenz von rund 40 Individuen dieser Buntbarsche Anschließend untersuchten sie die Symmetrie des Gehirns. „Im gesamten Gehirn der Fische, aber besonders in der Gehirnregion Tectum Opticum, fanden wir eine klare Asymmetrie – aber nur bei den Fischen, die auch eine einseitige Jagdpräferenz aufweisen“, schildert Ralf Schneider. Das Tectum Opticum ist die Gehirnregion, die für die Verarbeitung der optischen Sinneseindrücke zuständig ist. Die Hälfte des Tectum Opticum, die für das Auge der bevorzugten Seite zuständig ist, war bei den Buntbarschen jeweils stärker ausgebildet. Fische, die keine Seitenpräferenz zeigten, wiesen hingegen eine größere Symmetrie des Tectum Opticum auf. Dasselbe Muster zeigte sich auch für weitere Gehirnregionen. „Das ist interessant, weil es darauf hindeutet, dass es einen funktionellen Zusammenhang zwischen der Ausbildung des Gehirns und der Verhaltenslateralität gibt“, so Schneider.
Genanalysen (Genexpressionsanalysen) mehrerer Teile des Gehirns zeigten, welche Gene in den jeweiligen Gehirnregionen verstärkt aktiviert werden. Auch hier wiederholte sich das Muster, das sich bereits in der Gehirnstruktur gezeigt hatte: Allein schon im Tectum Opticum waren 140 Gene unterschiedlich häufig in den beiden Gehirnhälften aktiviert. Jeweils in Übereinstimmung mit der Seitenpräferenz der Tiere war die Aktivität der Gene in der entsprechenden Gehirnhälfte erhöht beziehungsweise reduziert. Die deutlichste Übereinstimmung wies das Gen Synuclein Gamma Alpha (sncga) auf – ein besonders interessantes Ergebnis, denn aus Untersuchungen des Zebrabärblings ist bekannt, dass dieses Gen verstärkt in der sogenannten Habenula exprimiert wird, einem Gehirnteil, der bei sämtlichen Wirbeltieren einschließlich des Menschen asymmetrisch aufgebaut ist. Neben Synuclein Gamma Alpha war eine Reihe anderer Gene, die beim Menschen mit Händigkeit und auch mit Schizophrenie in Zusammenhang gebracht werden, in den Gehirnhälften dieser Buntbarsche unterschiedlich häufig aktiviert. Es gibt Grund zur Annahme, dass die Habenula der Ursprung für einige Asymmetrien im Gehirn von Wirbeltieren sein könnte. Die Evolution der extremen Spezialisierung, Schuppen bevorzugt nur von einer Seite der Beutefische zu fressen und dabei auch den Kopf und das Gehirn asymmetrisch zu verändern, ist vermutlich durch extrem schnelle „seiten-spezifische“ Evolution der Genregulation im Gehirn erreicht worden, schildern die Biologen.
Originalpublikation:
Hyuk Je Lee, Ralf F. Schneider, Tereza Manousaki, Ji Hyoun Kang, Etienne Lein, Paolo Franchini, Axel Meyer. Lateralized Feeding Behavior Comes with Asymmetrical Neuroanatomy and Lateralized Gene Expressions in the Brain in Scale-Eating Cichlid Fish. Genome Biology and Evolution, online publiziert am 24. Oktober 2017. [https://academic.oup.com/gbe/article/doi/10.1093/gbe/evx218/4563458; https://doi.org/10.1093/gbe/evx218]
Faktenübersicht:
- Aktuelle Veröffentlichung in „Genome Biology and Evolution“, online publiziert am 24. Oktober 2017
- Studie zur „Händigkeit“ (Verhaltenslateralität) des afrikanischen Buntbarsches Perissodus microlepis
- Verhaltensbeobachtungen, Gehirnuntersuchungen und genetische Analysen (Gensequenzierung)
- Beteiligte Einrichtungen: Universität Konstanz, Sangji University (Südkorea), Korea University (Südkorea), Hellenic Center for Marine Research (HCMR, Griechenland)
- Gefördert von: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Ministerium für Ozeane und Fischerei (Südkorea), Young Scholar Fund der Universität Konstanz