Korallen verhungern, noch bevor sie bleichen
Neue Erkenntnisse zur Korallenbleiche: Studie der Universität Konstanz zeigt, dass Korallen bereits vor ihrem Bleichen an Nährstoffmangel leiden
Die sogenannte Korallenbleiche führt gegenwärtig zu einem weltweiten Massensterben von Korallen. Bedingt durch den Klimawandel nehmen Korallen eine milchig-weiße Färbung an, beziehen zu wenig Nährstoffe und verhungern in aller Regel. In besonders warmen Jahren sind im Pazifik oft kilometerlange „Korallenfriedhöfe“ aus gebleichten Korallen zu beobachten. Bei der Erforschung der Ursachen der Korallenbleiche stellte nun ein Forschungsteam um den Konstanzer Biologen Prof. Dr. Christian Voolstra fest, dass das Verhungern der Korallen bereits vor dem eigentlichen Bleichen beginnt. Die Ursache des Korallensterbens ist demnach eine gestörte Symbiose zwischen Korallen und Algen, welche der Korallenbleiche vorausgeht. „Die Korallenbleiche leitet das Sterben der Korallen nicht erst ein, sondern ist vielmehr der finale Phänotyp eines ins Ungleichgewicht geratenen Nährstoffaustausches zwischen Koralle und symbiotischen Algen“, schildert Voolstra. Die Forschungsergebnisse, die aktuell im Wissenschaftsjournal PNAS veröffentlicht wurden, könnten einen Paradigmenwechsel bei der Bekämpfung der Korallenbleiche einleiten.
Was bei der Korallenbleiche geschieht
Korallen leben in Symbiose mit photosynthetisch aktiven Algen. Zwischen der Koralle und den Algen findet ein Nährstoffaustausch statt, in dem die Algen einen Teil ihres Kohlenstoffs in Form von Zuckern an die Koralle – ihren Wirt – abgeben. In der Forschung war bereits bekannt, dass im Zuge der Korallenbleiche dieser Nährstoffaustausch aussetzt: Die Korallen stoßen – aufgrund der klimawandelbedingten Erwärmung des Wassers – ihre symbiotischen Algen ab. Sie beziehen in der Folge keine Nährstoffe von den Algen mehr und verhungern. Bislang wurde angenommen, dass diese Abstoßung der Algen die Ursache des Nährstoffmangels ist.
Noch nicht bekannt war jedoch, dass der Nährstoffaustausch zwischen Koralle und Algen bereits gestört ist, noch bevor die Koralle ihre symbiotischen Algen abstößt. Christian Voolstra und sein Team konnten nachweisen, dass Korallen bereits am Verhungern sind, noch bevor die ersten Symptome der Korallenbleiche auftreten. „ Es ist wie die Frage nach dem Huhn und dem Ei“, erläutert Christian Voolstra: „Ist die Korallenbleiche die Ursache oder die Wirkung des Verhungerns der Korallen? Wir fanden nun eindeutige Indizien, dass der Nährstoffmangel nicht erst ab dem Zeitpunkt besteht, wenn die Koralle ihre Algen abstößt und bleicht, sondern dass der Nährstoffaustausch bereits zuvor unterbrochen war. Die Korallen sind bereits am Verhungern, noch bevor sie bleichen.“
Was geschieht, bevor die Koralle bleicht
Christian Voolstra und sein Team untersuchten im Zuge ihrer Studie die biologischen Prozesse in Korallen ganz gezielt in der Zeit, bevor die Korallenbleiche einsetzt – also bevor die ersten Symptome der Bleiche bei den Korallen auftreten. Die Biologinnen und Biologen simulierten hierfür im Aquarium die Umweltbedingungen, die in den Meeren zur Korallenbleiche führen, und analysierten die biologischen Prozesse, mit denen Korallen und ihre symbiotischen Algen darauf reagieren. Es zeigte sich: Sowohl die Korallen als auch die Algen benötigen bei erhöhten Wassertemperaturen mehr Nährstoffe für sich selbst – und hören auf, diese Nährstoffe mit ihren Symbiose-Partnern zu teilen. „Sie werden sozusagen ‚egoistisch‘ und halten die Nährstoffe für sich selbst zurück. Die Algen füttern ihren Wirt nicht mehr, die Symbiose ist gestört“, erläutert Nils Rädecker, Erstautor der Studie. „Das Problem beginnt also nicht erst damit, dass die Koralle ihre Algen abstößt. Bereits vorher fand kein Nährstoffaustausch mehr zwischen ihnen statt.“
Folgen für die Korallenrettung
„In der Konsequenz bedeutet dies für uns: Wenn wir Korallen retten wollen, reicht es nicht zu versuchen, gebleichte Korallenriffen zu stabilisieren. Die Riffe müssen unterstützt werden, noch bevor die Korallen bleichen“, fordert Christian Voolstra. Die neue Erkenntnisse über die Zusammenhänge des Korallensterbens geben jedoch gute Anhaltspunkte, um gefährdete Korallenriffe zu identifizieren: „Wir kennen die Umweltparameter nun sehr gut, die zur gestörten Symbiose zwischen Koralle und Algen führen. Verschmutzte Gewässer mit hohem Stickstoffgehalt sind besonders gefährdet“, schildert Nils Rädecker. „Korallen, die am Verhungern sind, geben Ammonium ab. Ein erhöhter Ammoniumgehalt im Wasser in Nähe zu oder in den Korallenriffen selbst könnte daher ein guter Indikator sein, um gefährdete Riffe zu identifizieren, noch bevor die Korallen bleichen.“
Faktenübersicht:
- Originalpublikation: Heat stress destabilizes symbiotic nutrient cycling in corals, Nils Rädecker, Claudia Pogoreutz, Hagen M. Gegner, Anny Cárdenas, Florian Roth, Jeremy Bougoure, Paul Guagliardo, Christian Wild, Mathieu Pernice, Jean-Baptiste Raina, Anders Meibom, Christian R. Voolstra, Proceedings of the National Academy of Sciences Feb 2021, 118 (5) e2022653118; DOI: 10.1073/pnas.2022653118
Link: https://www.pnas.org/content/118/5/e2022653118 - Studie unter Leitung von Prof. Dr. Christian Voolstra, Professor für Genetische Adaption in aquatischen Systemen an der Universität Konstanz, zu den biologischen Prozessen, die der Korallenbleiche vorausgehen.
- Der Nährstoffaustausch zwischen Korallen und ihren symbiotischen Algen ist bereits unterbrochen, noch bevor Korallen ihre symbiotischen Algen abstoßen und die Korallenbleiche einsetzt.
- Forschung in Kooperation mit: King Abdullah University of Science and Technology (KAUST), University of Technology Sydney (UTS), University of Western Australia (UWA), École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL)
- Die Forschung wurde gefördert durch: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF), King Abdullah University of Science & Technology (KAUST)