Zebrafinken, eine Vogelart, die in der Natur in sozialen Kolonien lebt.
Zebrafinken, eine Vogelart, die in der Natur in sozialen Kolonien lebt.

Kollektiv­verhal­ten von Tier­grup­pen

Konstanzer Studie weist nach: Störende Einflüsse auf Tiergruppen haben Auswirkungen auf ihr kollektives Verhalten – Übertragung der Ergebnisse auf andere soziale Einheiten denkbar

Störungen, etwa durch Menschen oder Fressfeinde, können das Kollektiv von Tiergruppen negativ beeinträchtigen. Mit einer innovativen Tracking-Technologie zeigen WissenschaftlerInnen der Universität Konstanz und des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell, dass Vogelschwärme bei der gemeinsamen Futtersuche weniger effizient waren, nachdem die Gruppe für nur zwei Tage getrennt war. In der Studie, die in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Proceedings of the Royal Society B erschienen ist, untersuchten die Biologen Dr. Adriana Maldonado-Chaparro, Gustavo Alarcon-Nieto, James Klaveras-Irby und Dr. Damien Farine die Auswirkungen, die störende Vorkommnisse auf die Fähigkeit der Tiergruppe haben, eine kollektive Aufgabe zu erledigen. Ihre Forschung umfasst auch die Mechanismen, die dem veränderten Gruppenverhalten zugrundeliegen.

„Wie Gruppen auf Störungen reagieren und wie sie sich von Störungen wieder erholen können ist ein äußerst wichtiger Faktor für den Artenschutz, besonders da Tiere zunehmend den Folgen menschlicher Eingriffe ausgesetzt sind“, sagt Adriana Maldonado-Chaparro, Erstautorin der Studie.

Das Team beobachtete zwei Schwärme von Zebrafinken, einer Vogelart, die in der Natur in sozialen Kolonien lebt. In einem Störungsexperiment trennten sie die Koloniemitglieder für zwei Tage. Als die Kolonie wieder beisammen war, nahmen die Tiere weniger Futter zu sich. Dies deutet darauf hin, dass die Fähigkeit der Gruppe, eine Aufgabe gemeinsam zu erledigen, in Folge der Störung stark abgenommen hatte. Der Effekt war noch deutlich stärker, wenn Gruppen mehrfach gestört wurden.

Ein neuartiges, hochmodernes Tracking-System machte die Studie erst möglich. „Wir benutzten kleine Halterungen mit Barcodes, die auf den Rücken der Vögel angebracht wurden. Mit einer Bilderkennungssoftware bekamen wir sehr detaillierte Informationen zur Position und Orientierung jedes Individuums. Wir identifizierten die Vögel, die zum Futter kamen, und zeichneten die Interaktionen an der Futterstelle auf“, berichtet Adriana Maldonado-Chaparro. Mit Hilfe dieser Daten konnten die WissenschaftlerInnen die sozialen Netzwerke der Vögel nachbilden und die Faktoren herausfiltern, die dazu führten, dass die Gruppe im Kollektiv nicht mehr so gut wie zuvor funktionierte.

Bei der Beobachtung der Interaktion der einzelnen Vögel während der Futterexperimente stellte das Team fest, dass sich das Verhältnis zwischen den Gruppenmitgliedern nach zwei Tagen Trennung verändert hatte. Das Verhältnis war weniger eng, dafür aber differenzierter. Die Vögel tolerierten verstärkt nur ihre bevorzugten Gefährten, andere Vögel duldeten sie weniger als zuvor. Diese Ergebnisse legen die Vermutung nahe, dass soziale Störungen die sozialen Verhältnisse der Gruppenmitglieder durcheinanderbringen, was wiederum Konsequenzen für die gesamte Gruppe hat.

Die Konstanzer Biologen fanden heraus, dass die Veränderungen in der Funktionsweise der Gruppe mehrere Wochen nach dem Ende der Störungen anhielten. „Wir hatten nicht erwartet, dass die Auswirkungen so stark und so lang anhaltend sein würden”, sagte Damien Farine, Teamleiter und Mitautor der Studie. „Erst nach sechs Wochen ohne Trennung begann sich das Verhältnis zwischen den Vögeln wieder zu erholen.“ Die Daten der Studie lassen vermuten, dass auch sehr kurze Einflüsse auf Tiergruppen langfristige Folgen für die Funktionsweise dieser Gruppe haben.

Das Besondere an der Studie ist, dass sie die Fähigkeit von Individuen, erfolgreich Futter zu suchen, mit den Erfahrungen verknüpft, die die Gruppe gemacht hat. Die BiologInnen vermuten, dass sich die Ergebnisse auf viele andere Bereiche übertragen lassen. Diese können zum besseren Verständnis des Phänomens beitragen, dass auch scheinbar kleine Störungen von sozialen Einheiten, in denen Individuen von gemeinsamem Vorgehen profitieren, langfristige Auswirkungen auf deren Erfolg haben können. Zu denken ist dabei an Familien, Gruppen von Freunden oder Arbeitsteams.

„Unsere Studie bietet einen völlig neuen, wichtigen Einblick in die Evolution von Tiergesellschaften, indem sie die Fähigkeit eines Individuums, Futter in seiner Umgebung zu finden, mit der langfristigen Stabilität seiner Gruppe verknüpft“, fasst Damien Farine zusammen.

Faktenübersicht:

  • Originalpublikation: Maldonado-Chaparro, G. Alarcón-Nieto, J. A. Klarevas-Irby, D. R. Farine: Experimental disturbances reveal group-level costs of social instability. Proceedings of the Royal Society B, 14. November 2018. http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2018.1577
  • Studie zeigt: Störende Einflüsse auf Tiergruppen haben Auswirkungen auf ihr kollektives Verhalten
  • Durchgeführt von WissenschaftlerInnen der Universität Konstanz und der Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell Gefördert von der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG

Presseinformation: Nr. 114/2018