Hybridisierung als Evolutionsschub
Internationale Forschungskooperation wirft neues Licht auf die Entstehung von Tierarten – Mit Beteiligung von Konstanzer Evolutionsbiologen – Forschungsergebnisse in der heutigen Ausgabe des Fachmagazins Nature Communications
Einige eingewanderte oder eingeschleppte Tierarten, wie die japanische Buschmücke oder der asiatische Marienkäfer, fühlen sich inzwischen durch klimatische Veränderungen in ihrer neuen Heimat Mitteleuropa durchaus wohl. Dies hat nicht nur zur Folge, dass sie sich in dieser Region stetig vermehren, sondern mehr noch: Weisen Neuzugänge mit Angehörigen der lokalen Spezies genetische Kompatibilität auf, so kann es geschehen, dass sie sich miteinander kreuzen und so hybride Arten hervorbringen. Abhängig von lokalen Umweltbedingungen können sich diese wiederum unabhängig weiterentwickeln – ein Prozess, der sich bereits in der Entwicklungsgeschichte des Menschen in der Kreuzung zwischen dem Homo Sapiens und dem Neandertaler nachweisen lässt.
Die neuen Gene zugewanderter Arten ermöglichen somit neue genetische Kombinationen, die einer Spezies in natürlichen Selektionsprozessen Vorteile verschaffen können. Der Hybrid-Schwarm-Theorie zufolge kann wiederum die Kreuzung der so entstandenen hybriden Art mit ihrer Elternart zu einer vergrößerten genetischen Vielfalt innerhalb der Art wie auch zur Bildung von ganz neuen Arten mit vorher nicht existierenden Eigenschaften führen. Doch wie können die Naturwissenschaften heute diese Theorie belegen und entscheidende Schlüsselmomente in der Artenentstehung identifizieren?
Die Diversifizierung und Artenentstehung weiter zu erforschen ist das Hauptziel einer Gruppe von Evolutionsbiologen um Professor Axel Meyer an der Universität Konstanz und Professor Christian Sturmbauer an der Universität Graz. „Diese Studie – unsere größte in Bezug auf das Datenvolumen und den Grad der Kollaboration seit Beginn unserer Zusammenarbeit im Jahr 1990 – hat uns endlich ein nahezu vollständiges Verständnis der Evolutionsgeschichte der Buntbarsche sowie der Prozesse ermöglicht, die zur Diversifizierung dieser Fische am Tanganjikasee geführt haben", erklärt Axel Meyer.
Im Zentrum ihrer Forschung stehen dabei mehrere hundert Arten von Buntbarschen aus dem Tanganjikasee in Ostafrika. Mit bereits mehr als 1700 weltweit identifizierten Arten sind Buntbarsche Modellorganismen, um die Mechanismen ihrer rasch sich entwickelnden und dabei kaum erklärbaren Artenvielfalt weiter zu entschlüsseln. Den Forschern gelang es nicht nur, die Beziehungen zwischen den besonders umstrittenen Zweigen der Buntbarsch-Familien und damit deren frühe Ausbreitung im Tanganjikasee zu erklären. Sie waren ebenso in der Lage, Licht auf die bisher noch umstrittene Chronologie der Artenentwicklung der Buntbarsche zu werfen. Ihre Forschungsergebnisse wurden heute im Fachmagazin Nature Communications veröffentlich.
Mit DNA in die evolutionären Stammbäume
Unter Einbezug modernster Verfahren zur Entschlüsselung von Genom-Sequenzen gelang es dem Forscherteam, mehr als 500 verschiedene Gensequenzen der Buntbarscharten zu identifizieren. Auf deren Grundlage konnten sowohl neue evolutionäre Stammbäume entwickelt als auch die Frage beantwortet werden, warum die Entstehungsprozesse mancher der Arten explosionsartig auftraten. So fanden die Biologen heraus, dass sich bereits in der frühesten Verbreitung der Buntbarsche durch umgebungsinduzierte Bedingungen Hybride aus der ursprünglichen Art herausbildeten, die sich unter stabilen Verhältnissen rasch vermehrten und damit einen Schub für die Entwicklungsgeschwindigkeit der gesamten Art auslösten. Hinsichtlich der evolutionären Entwicklung der „modernen“ Buntbarschbevölkerung des Tanganjikasees entdeckte das Team, dass eine weitere Buntbarschart aus dem Fluss Kongo den Tanganjikasee ebenso besiedelte, sich mit ihren bereits dort lebenden Vorfahren kreuzte und so die adaptive Radiation, die Auffächerung einer Art in stärker spezialisierte Arten, im ganzen See begünstigte. Obwohl diese Art im heutigen Tanganjikasee nicht mehr vorhanden ist, kann man sie durch genetische Stammbaum-Rückverfolgung der vielfältigen „Nachkommenarten“ immer noch nachweisen.
Einige Buntbarsch-Gene, die insbesondere für die Farbgebung und die spezialisierten Kiefer verantwortlich sind, variieren schneller und bleiben dann in den differenzierten Formen erhalten bzw. entwickeln sich noch weiter. Christian Sturmbauer führt dies auf die Verbreitung der Fische in neue Umgebungen zurück: „Es sorgen also jene Merkmale, die dem Druck der Selektion ausgesetzt sind, für die Entstehung neuer Arten.“ Auf Basis neuester Sequenzierungsmethodik gelang es dem Team als erstem aufzuzeigen, wie die Veränderungen der Kieferform der hybriden Arten wesentlich zur Erschließung neuer Futterquellen beitrugen.
Fossilien ergänzen molekulare Eichungsversuche
Ein weiterer Erfolg des Forschungsteams um Axel Meyer und Christian Sturmbauer ist die Aufdeckung der bislang umstrittenen chronologisch-evolutionären Entwicklung der Buntbarsche: Bisher resultierten alle molekularen Eichungsversuche unter Einbezug der sogenannten Molekular-Uhr-Technik in zu niedrigen oder zu hohen Altersergebnissen der Arten, die sich nicht mit der geologischen Geschichte Ostafrikas vereinbaren ließen. Mit einem neuen methodischen Ansatz in Kombination mit der Untersuchung eines neuen Fossilfundes erfolgte eine Eichung, die zum ersten Mal die Abspaltung des südlichen Urkontinents Godwana mit dem allmählichen Absinken des ostafrikanischen Grabenbruchs – aus welchem heraus sich die Tanganjikasee-Buntbarsche im Wechselverhältnis zu dessen anwachsendem Ökosystem entwickelten – vereinbart. „ Diese Erkenntnisse helfen uns, aktuelle Veränderungen im Tierreich, etwa durch den Klimawandel, zu verstehen“, begründet Sturmbauer die wichtige Bedeutung der Ergebnisse.
Diese Forschungserkenntnisse sind das Ergebnis intensiver wie internationaler Zusammenarbeit zwischen vier Universitäten – der Forschergruppen von Alan und Emily Lemmon an der Florida State University (USA), Christian Sturmbauer von der Universität Graz, Gerhard Thallinger von der Technischen Universität Graz und Axel Meyer von der Universität Konstanz. Ebenso unterstützten die Beiträge von Iker Irrisari von der Universität Konstanz sowie von Pooja Singh und Stephan Koblmüller von der Universität Graz den Erfolg des Forschungsprojektes. Das Projekt wurde im Rahmen des ERC Advanced Grants „Comparative genomics of parallel evolution in repeated adaptive radiations“ von Axel Meyer durchgeführt, das vom Europäischen Forschungsrat (ERC) mit 2,5 Millionen Euro gefördert wird. Weitere Fördermittel in Höhe von mehr als 1 Million Euro – bestehend aus zwei aufeinanderfolgenden Projekten, gefördert durch die Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung in Österreich (FWF), und einem Dissertationsstipendium für einen beteiligten Doktoranden - wurden von Christian Sturmbauer eingeworben.
Originalveröffentlichung:
Iker Irisarri, Pooja Singh, Stephan Koblmüller, Julián Torres-Dowdall, Frederico Henning, Paolo Franchini, Christoph Fischer, Alan R. Lemmon, Emily Moriarty Lemmon, Gerhard G. Thallinger, Christian Sturmbauer & Axel Meyer. „Phylogenomics uncovers early hybridization and adaptive loci shaping the radiation of Lake Tanganyika cichlid fishes“
https://doi.org/10.1038/s41467-018-05479-9
Faktenübersicht:
- Evolutionsbiologen von der Universität Konstanz, der Universität Graz, der Technischen Universität Graz und der Florida State University (USA) werfen ein neues Licht auf die Artenentstehung von Buntbarschen
- Die Teams um Professor Axel Meyer an der Universität Konstanz und Professor Christian Sturmbauer an der Universität Graz untersuchten Fische aus dem Tanganjikasee-Ökosystem in Ostafrika – Modellorganismen für die Entschlüsselung der raschen Artenentstehung
- Sequenzierung von mehr als 500 Fischgenen führte zur Entwicklung neuer Stammbäume der Buntbarsche und erläutert, warum Hybride sich aus der ursprünglichen Art herausbildeten und dadurch einen Schub für die Entwicklungsgeschwindigkeit der gesamten Art auslösten
- Auf Basis der neusten Sequenzierungsmethodik haben die Forscher zum ersten Mal gezeigt, dass die Veränderungen der Kieferform der hybriden Arten für den Zugang zu neuen Nahrungsquellen entscheidend sind.
- Ein neuer methodischer Ansatz und die Untersuchung eines neuen Fossilfundes führten zu einer Eichung, die zum ersten Mal die Abspaltung des südlichen Urkontinents Godwana mit dem allmählichen Absinken des ostafrikanischen Grabenbruchs vereinbart.
- Das Forschungsprojekt wurde im Rahmen des ERC Advanced Grants „Comparative genomics of parallel evolution in repeated adaptive radiations“ von Axel Meyer durchgeführt, das vom Europäischen Forschungsrat (ERC) mit 2,5 Millionen Euro gefördert wird.