Bischofsvilla am Seerhein
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Geschmack verbindet

Kulturwissenschaftliches Kolleg Konstanz startet ins akademische Jahr 2016/2017

Mit ihrem Vortrag „Geschmacksgemeinschaften. Zur politischen Geschichte der Urteilskraft“ eröffnet Prof. Dr. Susanne Lüdemann am Donnerstag, 27. Oktober 2016, das neue akademische Jahr im Kulturwissenschaftlichen Kolleg Konstanz, das dem Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ der Universität Konstanz angehört. Die Literaturwissenschaftlerin von der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) ist eine von achtzehn neuen Gastwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern („Fellows“), die bis zu einem Jahr am Kolleg forschen werden. Die Veranstaltung, die um 17.00 Uhr in der Bischofsvilla am Seerhein (Otto-Adam-Straße 5) beginnen wird, steht allen Interessierten offen.

Lässt sich über Geschmack nun streiten oder nicht? Wer entscheidet darüber, was guter, was schlechter Geschmack ist – das Individuum, eine Gruppe, die Gesellschaft? „Mögliche Interpretationen, die geschmacklich danebengreifen, auszugrenzen, ist keine Frage philologischer Beweisführung, sondern eine sozialer Exklusion. Man steht gleichsam auf und setzt sich an den Nebentisch“, schreibt der Germanist Jan-Philipp Reemtsma in seinem 2016 erschienenen Buch ‚Was heißt: einen literarischen Text interpretieren?‘. Wie der Soziologe Pierre Bourdieu, der von den „feinen Unterschieden“ spricht, geht Reemtsma davon aus, dass Geschmack nichts Individuelles ist, sondern von der Gesellschaft beziehungsweise einer gesellschaftlichen Gruppe geprägt wird – und damit Grundlage für soziale Ausgrenzung wird.

Susanne Lüdemann zeichnet in ihrem Vortrag die politische Geschichte der Urteilskraft nach, vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis heute. „Die Geschichte des Geschmacks, mit ihr aber auch die politische Geschichte der Urteilskraft und der Kritik, ist von denselben Paradoxien gekennzeichnet wie die Geschichte der Französischen Revolution: Was als allumfassendes Projekt der Menschheit begann, zerfällt in lauter lokale Gemeinschaften, die ihre Identität aus der Abgrenzung gegen die anderen gewinnen,“ erklärt die Literaturwissenschaftlerin. „Besonders spannend finde ich, inwiefern sich auch heute noch Geschmacksfragen ausgrenzend verhalten. Und ob sich ein kosmopolitischer Begriff des Geschmacks wiedergewinnen lässt, wie beispielsweise Kant ihn gedacht hat.“

Der Vortrag, der als „Arbeitsgespräch“ Einblicke in laufende Forschungsarbeiten gibt, bildet den Auftakt zum neuen akademischen Jahr im Kulturwissenschaftlichen Kolleg. Die „Fellows“, die aus dem nationalen und internationalen Raum zusammen kommen, werden gemeinsam mit Konstanzer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über das zentrale Thema des Exzellenzclusters forschen – die kulturellen Grundlagen von Integration.

Weitere Informationen zum Kulturwissenschaftlichen Kolleg unter: exzellenzcluster.uni-konstanz.de/kolleg

Faktenübersicht:
„Geschmacksgemeinschaften. Zur politischen Geschichte der Urteilskraft“
Vortrag von Prof. Dr. Susanne Lüdemann, Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)
Donnerstag, 27. Oktober 2016, 17.00 Uhr
Konstanz, Bischofsvilla am Seerhein (Otto-Adam-Straße 5)