Gemeinsam zu neuen Perspektiven
An der Universität Konstanz werden Ethnologie und Soziologie in einem neuen Studiengang zusammengeführt.
In den Fächern Soziologie und Ethnologie war bisher die sozialräumliche Leitdifferenz „wir“ und „die außereuropäischen Anderen“ eines der Hauptunterscheidungskriterien und Angelpunkt der fachlichen Identitäten. An der Universität Konstanz beginnt im kommenden Wintersemester 2016/2017 ein neuer Masterstudiengang „Ethnologie und Soziologie“, der sich zur Aufgabe stellt, diese überkommene disziplinäre Arbeitsteilung zu überwinden. Der Master-Studiengang ist der erste Studiengang deutschlandweit, der Ethnologie und Soziologie zusammenführt.
Lange wurden Berührungspunkte zwischen Ethnologie und Soziologie vorwiegend in Fragen nach Entwicklung, Modernisierung, Globalisierung und Migration gesehen. In jüngerer Zeit kam es vermehrt auch zu methodischen Diskussionen, die durch ein gemeinsames Interesse am Forschungsstil der Ethnographie gekennzeichnet sind. Doch oft bleibt es bei einem kurzen Verweis auf Konstellationen der Wissenschaftsgeschichte, in denen die Unterscheidung zwischen den beiden Fächern keine zentrale Rolle spielte, so etwa in der „Chicago School“ oder bei Bezügen auf Gründerväter der Sozialtheorie wie Marcel Mauss oder Émile Durkheim und neuere Grenzgänger wie Pierre Bourdieu oder Bruno Latour, die mitunter von Vertretern beider Disziplinen für sich beansprucht werden. Insgesamt bleibt die systematische Zusammenführung von Allgemeiner Ethnologie und Allgemeiner Soziologie in der deutschen Wissenschaftslandschaft allerdings weiterhin ein Desiderat.
Der Master-Studiengang „Ethnologie und Soziologie“ führt die sozial- und kulturtheoretischen Kernbestände beider Fächer zu einem forschungsorientierten und an Problemstellungen der Gegenwart orientierten Studienprogramm zusammen. „Er ist so angelegt, dass durch die Kombination ein Mehrwert für das Verständnis und die Analyse von Gegenwartsphänomenen erzeugt wird, der von keinem der Fächer allein erbracht werden könnte“, so Prof. Dr. Thomas Kirsch, der den Studiengang gemeinsam mit der Juniorprofessorin Dr. Judith Beyer entwickelt hat.
Dies eröffnet den Studierenden neue Perspektiven: Die Ethnologie lenkt den kultur- und gesellschaftsvergleichenden Blick insbesondere, aber nicht ausschließlich auf außereuropäische Gesellschaften und ermöglicht so auch eine Außenperspektive auf die eigene Gesellschaft. Die Soziologie steuert theoretische und methodologische Impulse bei, die bislang in der deutschsprachigen Ethnologie vernachlässigt wurden. „Den Studierenden wird dadurch die Möglichkeit gegeben, nicht nur wichtige aktuelle Debatten in beiden Fächern nachvollziehen und kritisch reflektieren zu können, sondern anderswo disziplinär getrennt laufende Debatten aufeinander zu beziehen, um neue Perspektiven und innovative Forschungsfragen zu entwickeln“, so Judith Beyer.
Aufgrund seines interdisziplinären, ethnologisch-soziologischen Profils eröffnet der Studiengang Chancen in Berufsfeldern in zwei ansonsten oft getrennt laufenden Kontexten des Arbeitsmarktes. Studienabsolventen können damit neben wissenschaftlichen Tätigkeiten beispielsweise auch in Kultur-, Medien- und Bildungseinrichtungen, der angewandten Sozialforschung sowie im Bereich des forschungsbegleiteten Projektmanagements, der internationalen Programmentwicklung, der Migrations- und Flüchtlingsarbeit und der interkulturellen Organisations- und Politikberatung tätig sein.
Der viersemestrige Studiengang „Ethnologie und Soziologie“ am Fachbereich Geschichte und Soziologie der Universität Konstanz beginnt im Wintersemester 2016/2017. Bewerben können sich Absolventinnen und Absolventen eines Bachelor-Studiengangs in Ethnologie, Soziologie sowie benachbarter Fächer.