Für eine bessere Risikobewertung von Chemikalien
Die Universität Konstanz ist eine von 199 Partnerinnen aus 28 Ländern und 3 EU-Behörden, die sich zusammengeschlossen haben, um die Risikobewertung von Chemikalien in Europa zu verbessern – einschließlich der Vermeidung von Tierversuchen durch geeignete Alternativmethoden.
Wie können die Europäische Union (EU) und ihre Mitglieder dafür sorgen, dass wir weniger gefährlichen Chemikalien ausgesetzt und deren schädliche Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt verringert werden? Welche neuen Methoden können eingesetzt werden, um chemische Risiken zuverlässiger und vorzugsweise ohne Tierversuche zu bewerten? Dies sind einige der Fragen, mit denen sich die internationale Partnerschaft PARC – Kurzform für „European Partnership for the Assessment of Risk from Chemicals“ – befasst, an der sich auch die Universität Konstanz beteiligt.
PARC wurde am 1. Mai 2022 gegründet und vereint fast 200 Forschungseinrichtungen und Gesundheitsbehörden aus insgesamt 28 Ländern. Für einen Förderzeitraum von sieben Jahren erhält PARC eine Finanzierung von rund 400 Millionen Euro von der Europäischen Kommission und den beteiligten Partnerländern. Koordiniert wird die Partnerschaft von der französischen Agentur für Lebensmittelsicherheit, Umwelt- und Arbeitsschutz (ANSES). Forschende der Universität Konstanz unterstützen das Programm mit ihrer Expertise in tierversuchsfreien alternativen methodischen Ansätzen (NAM; engl.: „New Approach Methods“) der Risikobewertung und in regulatorischer Toxikologie.
Wissenslücken schließen – ohne Tierversuche
Am 14. Oktober 2020 hat die Europäische Kommission eine EU-Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit verabschiedet. Eine der vorgesehenen Maßnahmen laut offizieller Pressemitteilung: „Die Erstellung einer EU-Forschungs- und Innovationagenda für Chemikalien, um die Wissenslücken über die Wirkung von Chemikalien zu schließen, Innovationen zu fördern und nach und nach auf Tierversuche zu verzichten.“ Genau hier setzt der Teilbereich von PARC an, an dem sich Forschende der Universität Konstanz schwerpunktmäßig beteiligen werden.
Durch die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Marcel Leist, Professor für In-Vitro-Toxikologie und Biomedizin an der Universität Konstanz und Co-Direktor des Center for Alternatives to Animal Testing in Europe (CAAT-Europe), werden in Konstanz auf NAM basierende Testbatterien entwickelt und eingesetzt, die in der Lage sind, die toxikologischen Eigenschaften von Medikamenten und Lebensmittelbestandteilen zu erfassen. Im Rahmen von PARC werden diese Methoden weiter verfeinert, um ihre Anwendung im regulatorischen Umfeld zu ermöglichen – also dort, wo die Daten Auswirkungen auf den Marktzugang von Chemikalien und auf die Festlegung von Grenzwerten für die sichere Exposition gegenüber der allgemeinen Bevölkerung oder in verschiedenen Arbeitsumgebungen haben.
Der Schwerpunkt der von den Konstanzern bereitgestellten Methoden liegt auf den potenziell toxischen Wirkungen von Chemikalien auf das Nervensystem (Neurotoxizität) und auf die Gesundheit von Ungeborenen (Entwicklungstoxizität). „Wir werden mehrere Fallstudien durchführen, die die Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der NAM für die Bereitstellung von Daten für Regulierungsbehörden zeigen werden“, sagt Marcel Leist.
Erste Erfolge liegen bereits vor
Die an der Universität Konstanz entwickelten, tierversuchsfreien Methoden wurden in der Vergangenheit bereits durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) oder die US-Umweltschutzbehörde (EPA) genutzt. Die derzeit verfügbare Testbatterie erfasst viele verschiedene Aspekte der Neurotoxizität. So werden beispielsweise Informationen darüber gewonnen, ob Giftstoffe die Bildung eines neuronalen Netzwerks hemmen oder ob sie eher verschiedene Funktionen eines bereits gebildeten Netzwerks beeinträchtigen. „Im Rahmen von PARC werden wir diese Testbatterie weiterhin nutzen, um Daten über die Gefahren von Verbindungen zu sammeln, die in der Europäischen Union von besonders hoher Bedeutung sind. Einige dieser Chemikalien stehen in Verdacht, das Hormonsystem negativ zu beeinflussen oder die Genexpression im Gehirn zu verändern. Um auf derartige Effekte zu testen, müssen neue Testsysteme entwickelt und implementiert werden", erläutert Marcel Leist.
Sämtliche Methoden des Projekts werden auf der Verwendung menschlicher Zellen anstelle von Tierversuchen beruhen. Da mit den neuen Methoden deutlich mehr Tests durchgeführt werden können als mit herkömmlichen Ansätzen, können auch Gemische von Umweltchemikalien untersucht werden. Mit dieser Arbeit wird PARC einen Beitrag zum "Zero Pollution Action Plan" des Green Deal leisten. Darüber hinaus werden die Projektergebnisse für weitere Endnutzer, zum Beispiel aus der Industrie, von hohem Nutzen sein, da die entwickelten In-vitro-Methoden schnell, zuverlässig und kosteneffizient sind. „Die regulatorische Umsetzung der Tests wird also für verschiedene Interessengruppen von großem Nutzen sein, sei es durch die Reduktion von Tierversuchen, die Identifizierung und Regulierung gefährlicher Substanzen oder – in letzter Instanz – die weitreichenden Vorteile für die öffentliche Gesundheit, die sich daraus ergeben“, schließt Marcel Leist.
Faktenübersicht:
- Die Universität Konstanz ist Teil von PARC (European Partnership for the Assessment of Risk from Chemicals), einer europäischen Partnerschaft zur Risikobewertung von Chemikalien
- Forschungsschwerpunkt in Konstanz: Entwicklung tierversuchsfreier, alternativer methodischer Ansätze (NAM) für die Bewertung der Neurotoxizität von Chemikalien.
- PARC vereint 199 Partnerinnen aus 28 Ländern und 3 EU-Behörden und wird durch die Europäische Kommission und die beteiligten Partnerländer mit einem Gesamtbudget von etwa 400 Millionen Euro ausgestattet