Für bessere Qualitätskontrolle bei der Strahlentherapie
Von der Grundlagenforschung in die klinische Anwendung: Eine Arbeitsgruppe der Universität Konstanz erhält für die Entwicklung eines neuartigen Flüssigdosimeters einen Proof of Concept Grant des Europäischen Forschungsrats.
Tumorerkrankungen sind ein weltweites Problem. Zur Behandlung wird oftmals Strahlentherapie eingesetzt, um die Tumorzellen zu zerstören, während gesundes Gewebe geschont werden soll. Dafür werden mittels aufwändiger Berechnungen individuelle Bestrahlungstherapiepläne erstellt. Bei der Umsetzung ist es wichtig, kontrollieren zu können, ob die jeweils geplante Bestrahlungsdosis tatsächlich im Tumor und wie viel im gesunden Gewebe des Patienten ankommt. Aufgrund des hohen Wassergehalts menschlichen Weichteilgewebes wird die Strahlendosis traditionell in Wasser oder wasser-äquivalenten Körpern berechnet und gemessen. Bei modernen, hochkomplexen Bestrahlungsverfahren spielt die Wasseräquivalenz auch für die eingesetzten Dosimeter eine zunehmend wichtige Rolle.
Im Rahmen seines 2017 eingeworbenen Consolidator Grant „SPICE“ („Spectroscopy in cells“) des Europäischen Forschungsrats machte die Arbeitsgruppe des Physikochemikers Malte Drescher eine Zufallsentdeckung, die das Potenzial für ein solches wasseräquivalentes Dosimeter hat. Für dessen Entwicklung hat sie nun den Proof of Concept Grant „LIQUIDITY“ („Liquid Dosimetry via Electron Paramagnetic Resonance Spectroscopy“) des Europäischen Forschungsrats mit einer Fördersumme von 150.000 EUR erhalten.
„LIQUIDITY“ auf der Spur der Sonden-Moleküle
Zur Untersuchung der Dynamik und Struktur von großen Molekülen in Zellen mittels Elektronenspin-Resonanz-Spektroskopie entwickelten die WissenschaftlerInnen kleine Sonden-Moleküle, die einen Elektronen-Spin tragen und am großen Molekül angebracht werden. Durch die gleiche Bestrahlung, die auch in der Tumortherapie zur Anwendung kommt, kann nun über diese Sonden-Moleküle die Dosis in der Strahlentherapie detektiert werden.
„Wir haben festgestellt, dass diese Sonden-Moleküle sehr sensitiv auf Bestrahlung reagieren“, beschreibt Malte Drescher die Entdeckung in einem Satz. Konkret bedeutet dies: Während der Bestrahlung werden einige Sonden-Moleküle zerstört, sie geben keine Signale mehr ab. Je höher die Strahlendosis ist, desto mehr Sonden-Moleküle verlieren ihre Funktion. Die Forschung im Rahmen des neuen ERC (European Research Council) Grant zielt darauf ab, diese Entdeckung für eine innovative Methode der Qualitätssicherung von Bestrahlungstherapien zu nutzen.
Die Lösung: eine mit Wasser gefüllte Kapsel
Die Idee ist, eine Kapsel zu entwickeln, die mit Wasser gefüllt ist, in dem die Sonden-Moleküle schwimmen. Die Kapsel wird z. B. auf der Haut des Patienten angebracht oder in Körperhöhlen platziert. An der Anzahl der während der Bestrahlung zerstörten Sonden-Moleküle lässt sich anschließend bewerten, inwieweit die Dosis, die der Patient erhalten hat, mit der im Strahlentherapieplan vorgesehenen Dosis übereinstimmt.
Die völlig neue Dosimetrie-Methode verspricht zugleich mehrere Vorteile, erklärt Sebastian Höfel, Doktorand der Arbeitsgruppe und Leitender Medizinphysiker der Klinik für Strahlentherapie in Konstanz: Zum einen sind die Dosimeter wasseräquivalent und daher problemlos unter verschiedensten Bedingungen einsetzbar, da damit die bislang komplizierten Umrechnungen auf die Wasser-Dosis hinfällig würden. Zum anderen wären kleine, d. h. nur wenige Millimeter große Dosimeter herstellbar. Aufgrund des flüssigen Zustands ließen sich zudem flexible Formen realisieren, die oberflächlich oder in vorhandene Körperöffnungen wie in Nase oder Mund eingeführt werden können.
Die Forschenden haben sich auf dem Weg zur klinische Anwendung des neuartigen Dosimeters drei Ziele gesetzt: Es soll ein Material für die Kapseln gefunden werden, das optimal zu den Anforderungen der klinischen Anwendung passt. Die Forschenden wollen darüber hinaus herausfinden, auf welche Weise genau die Sonden-Moleküle zerstört werden. Schließlich soll die Anwendung des neuen Dosimeters, dessen Komponenten völlig risikolos für die Patienten sind, in einer klinischen Studie unter realen Bedingungen getestet werden.
Kooperation mit zukünftigen Anwendern
Der Proof of Concept Grant „LIQUIDITY“ wird durchgeführt in einer Kooperationspartnerschaft mit der Konstanzer Klinik für Strahlentherapie (Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. H. Zwicker & Partner) sowie mit Physik-Professor Michael Fix, dem stellvertretenden Leiter der Abteilung für Medizinische Strahlenphysik des Inselspitals Bern. „Durch unsere Kooperationspartner erhalten wir einen genauen Einblick in die Bedürfnisse der zukünftigen Anwender, nämlich Kliniken und Strahlentherapiepraxen“, sagt Malte Drescher. Mit der Entwicklung des innovativen Dosimeters nutzen die Forschenden Ergebnisse ihrer Grundlagenforschung, um sie zeitnah in die Anwendung zu bringen.
Der Proof of Concept Grant
In diesem Sinne sieht der Proof of Concept Grant eine Förderung von maximal 18 Monaten vor. Er ist so konzipiert, dass er im Anschluss an einen ERC Grant beantragt werden kann. Er ist ein ergänzender Grant zu den Forschungs-Grants des European Research Council (ERC) und richtet sich ausschließlich an WissenschaftlerInnen, die bereits einen ERC Grant innehaben und ein Forschungsergebnis aus diesem Projekt verwerten möchten. Ziel eines Proof of Concept-Projekts ist, das Marktpotenzial einer solchen Idee zu überprüfen und im Hinblick auf die Anwendungsreife, Kommerzialisierung oder Vermarktung weiterzuentwickeln.