Einkommensabhängige Kita-Gebühren
Eine Umfrage unter der Konstanzer Bevölkerung bringt überraschende Erkenntnisse zur Frage, wie gerechte Kita-Gebühren aussehen sollen
Die Konstanzer Bürgerinnen und Bürger haben eine differenzierte Haltung zum Thema Kita-Gebühren. Prof. Dr. Marius R. Busemeyer, Professor für Policy-Analyse und politische Theorie an der Universität Konstanz, untersuchte in einer Umfrage die Zahlungsbereitschaft der Konstanzer Bürgerinnen und Bürger für die Kinderbetreuung in Kitas. Auf die Frage, welche Gebührenhöhe als gerecht empfunden wird, kam ein Durchschnittswert von genau 191 Euro heraus. Außerdem befürwortet eine große Mehrheit Kita-Gebühren, die in ihrer Höhe vom Familieneinkommen abhängig sind. Ein weiterer Befund zeigt, dass bei der Wahrnehmung fairer Gebühren weder der religiöse Hintergrund der Eltern noch die Dauer des Wohnsitzes in Konstanz eine Rolle spielen. Die Umfrage wurde 2014 im Rahmen der Konstanzer Bürgerbefragung des Konstanzer Soziologen Prof. Dr. Thomas Hinz durchgeführt und in Kooperation mit Prof. Dr. Achim Goerres von der Universität Duisburg-Essen ausgewertet und analysiert.
Im Jahr 2014 lag eine Gebührenhöhe von 191 Euro leicht unter dem damaligen Durchschnitt der öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen in Konstanz. Mittlerweile sind die Gebühren allerdings deutlich gestiegen. Grundsätzlich nicht in Frage gestellt wurde, dass für die Betreuung in Kindertagesstätten eine Gebühr erhoben wird. Angesichts von Protesten gegen die Einführung allgemeiner Studiengebühren im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, die wenige Jahre später wieder zurückgenommen wurden, keine Selbstverständlichkeit. Zum Vergleich: Die 500 Euro Studiengebühr machten auf den Monat gerechnet rund 90 Euro aus. „Dass für Kitas bezahlt werden muss, ist tief in den Köpfen der Menschen verankert“, macht Marius Busemeyer deutlich.
In der Studie sollte auch untersucht werden, welche Faktoren die Höhe gerechter Kita-Gebühren in den Augen der Befragten beeinflussen könnten. Marius Busemeyer nennt es einen „sehr starken Befund“: Wohlhabendere Menschen sollen in der Wahrnehmung der Befragten höhere Gebühren zahlen als weniger wohlhabende. Dies gaben die Befragten unabhängig von ihrem eigenen Einkommen an, das heißt, auch Gutverdiener sehen dies so. Tendenziell sind Menschen mit höherem Einkommen sogar eher dafür, mehr für die Betreuung ihrer Kinder zu bezahlen. „Das Prinzip der einkommensabhängigen Gebühren wird als fair empfunden. Und das obwohl in Konstanz bislang dieses Prinzip gar nicht gilt und die Gebühren für alle gleich sind“, fasst Marius Busemeyer zusammen.
Auch andere als finanzielle Ressourcen spielen bei der Wahrnehmung von „fairen“ Kita-Gebühren eine Rolle. Sind beispielsweise Großeltern vor Ort, auf die Familien zurückgreifen können, finden es die Befragten fair, wenn diese Eltern leicht höhere Gebühren zahlen. Umgekehrt wird Alleinerziehenden ein „Rabatt“ gewährt. Ein weiterer überraschender Befund ist, dass Berufstätigkeit der Mutter bei der Höhe der Gebühren nicht ins Gewicht fällt. Keine Selbstverständlichkeit angesichts der Tatsache, dass dies in Deutschland eine relativ neue Konstellation ist.
In der Untersuchung wurde auch der religiöse Hintergrund nach seinem Einfluss auf die Wahrnehmung fairer Kita-Gebühren abgefragt. Tatsächlich spielt er keine Rolle. Nach Meinung der Befragten ist es nur gerecht, dass Menschen mit einem anderen religiösen Hintergrund als dem vorherrschenden, sprich: mit Migrationshintergrund, die gleichen Kita-Gebühren entrichten wie alle anderen auch. Ebenso wenig soll der Umstand, ob jemand schon lange in Konstanz wohnt oder gerade erst zugezogen ist, darüber entscheiden, wie viel für die Kinderbetreuung fällig wird. „Wir sehen keinerlei Diskriminierungseffekte“, kommentiert Marius Busemeyer.
Umfragen wie die nach der Wahrnehmung von fairen Gebühren sind empirisch anspruchsvoll. Der Survey des Arbeitsbereichs von Marius Busemeyer wurde aus diesem Grund als sogenannte Vignetten-Studie durchgeführt. Die Teilnehmenden wurden nicht direkt gefragt, welche Gebührenhöhe sie als fair empfinden, sondern mussten anhand von Fallbeispielen angeben, ob sie eine Situation als gerecht oder ungerecht bewerten. „Dadurch bekommt man eine robustere Einschätzung dessen, was die Menschen tatsächlich als gerecht empfinden“, so Marius Busemeyer. Hinter den Fallbeispielen stehen verschiedene Variablen, die die Befragten allerdings nicht als solche erkennen.
Konstanz ist insofern repräsentativ für viele deutsche Städte, als es konfrontiert ist mit einer erhöhten Nachfrage nach öffentlicher Kinderbetreuung. Damit lässt sich auch erklären, warum die Menschen Kita-Gebühren akzeptieren, aber gegen Hochschulgebühren rebellieren. Marius Busemeyer: „In Deutschland gibt es eine sehr lange Tradition gebührenfreier Hochschulen. Kitas dagegen sind ein relativ junger Sektor. Wenn in Zeiten knapper Haushalte ein neues Politikfeld aufgebaut werden soll, müssen irgendwo die Ressourcen herkommen, deshalb wurde von Anfang an auf das Gebührenmodell zurückgegriffen.“ Für politische Entscheidungsträger eine wichtige Erkenntnis. „Empfindet die Bevölkerung die Gebührenstruktur als gerecht, kann davon ausgegangen werden, dass sie auch bereit ist, zu den Kosten des Ausbaus von Kita-Plätzen beizutragen“, so Marius Busemeyer.
Originalveröffentlichung:
Marius R. Busemeyer, Achim Goerres: Measuring willingness to pay for childcare: Findings from a vignette study in the city of Konstanz. GSDS Working Paper Nr. 2017-12, Mai 2017
https://www.gsds.uni-konstanz.de/research/working-papers/
Faktenübersicht:
- Studie zur Zahlungsbereitschaft der Konstanzer Bürgerinnen und Bürger für die Kinderbetreuung in Kitas
- Die Umfrage wurde 2014 im Rahmen der Konstanzer Bürgerbefragung durchgeführt
- 1.577 Konstanzerinnen und Konstanzer nahmen an der Studie teil
- Die Studie wurde durch Mitteln der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder gefördert