Die (Ohn)Macht der Straße
Foyer Forschung des Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“ diskutiert über Einfluss und Risiko von Bürgerprotesten
Ihrem Widerspruch, ihrer Empörung, ihren Ängsten verleihen immer mehr Menschen auch öffentlich Ausdruck – in Form von Mahnwachen, Massendemonstrationen, Besetzungsaktionen. Lohnt sich der Einsatz? Und welchem Risiko setzen sich Protestierende in autoritär regierten Ländern aus? Das Foyer Forschung „Autorität und Widerstand. Bürgerproteste und ihre (Ohn)Macht“ geht am Donnerstag, 18. Januar 2018, um 20 Uhr diesen Fragen nach. Auf dem Podium diskutieren die Ethnologin Dr. Katharina Bodirsky von der Universität Konstanz, der Historiker Dr. Florian Peters vom Berliner Institut für Zeitgeschichte und der Soziologe Dr. Simon Teune vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin. Der Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ lädt dazu in das Foyer der Spiegelhalle des Konstanzer Theaters ein.
„Bürgerproteste gehören in Deutschland mittlerweile zum Standardrepertoire politisch aktiver Menschen“, stellt Soziologe Simon Teune fest, der seit vielen Jahren über soziale Bewegungen, über Proteste und Protestkulturen forscht. Und die Zahl von Protesten hat über die letzten Jahrzehnte zugenommen, wenngleich nicht stetig, sondern in Wellen. Was aber bringt die Menschen auf die Straße? Und was bringt ihnen das?
Die Anliegen und Forderungen der Protestierenden sind vielfältig und haben sich im Laufe der Zeit auch geändert. Das Spektrum in der jüngeren deutschen Vergangenheit reicht(e) von Protesten für basisdemokratische Mitbestimmung in den 1960er-Jahren über Anti-Atomkraft-Aktionen in den 1970ern bis hin zu Stuttgart 21 und aktuellen Anti-Abschiebungs-Kampagnen. Rückblickend ist zu erkennen, dass zwar nicht jedes einzelne verfolgte Ziel erreicht wurde, aber doch Themen wie der Atomausstieg gesetzt wurden, denen sich mittlerweile auch die Regierenden angenommen haben. Und die von der Bürgerbewegung der DDR organisierten Massendemonstrationen waren maßgeblich an der Wende beteiligt.
„Politische Regime können offen oder repressiv mit der von unten artikulierten Kritik umgehen. Dass sich dabei auch in liberalen Demokratien autoritäre Tendenzen entwickeln können, haben wir in der letzten Zeit häufig beobachten müssen“, erklärt Protestforscher Teune. Im Frühjahr 2017 gingen tausende Ungarn für „Bildungsfreiheit“ auf die Straße, konnten jedoch ein neues Hochschulgesetz nicht verhindern. In Polen wird seit Monaten gegen die Gleichschaltung der Justiz demonstriert. Florian Peters, der sich auf die Zeitgeschichte Osteuropas spezialisiert hat, betont: „Regierungsgegner in Polen können auf eine lange Tradition zivilen Widerstands zurückblicken. Mit der oppositionellen Solidarność der 1980er-Jahre hat sie immerhin die größte Massenbewegung in der jüngsten europäischen Geschichte hervorgebracht.“
Jedoch beruft sich auch das von Jarosław Kaczyński angeführte Regierungslager in Polen ausdrücklich auf das Erbe der antikommunistischen Opposition. Daran zeige sich, so der Historiker, dass ziviler Protest in Polen mehr als andernorts auch den Kampf um seine eigene historische Deutung mit einschließt: „Macht oder Ohnmacht der aktuellen Protestbewegungen werden deshalb nicht zuletzt davon abhängen, ob es ihnen gelingt, dem polarisierenden Freund-Feind-Denken des Rechtspopulismus eine inklusive Gegenerzählung entgegenzusetzen.“
Gerade das Freund-Feind-Denken ist ein zentraler Bestandteil repressiver Reaktionen auf Protest, wie beispielsweise in der Türkei. „Protest kann hier auch für die Stärkung zunehmend illiberaler Regimes instrumentalisiert werden“, erklärt Katharina Bodirsky, die autoritäre politische Entwicklungen aus anthropologischer Perspektive erforscht. Hier stellt sich die Frage, ob Protestformen, die sich in liberalen Demokratien herausgebildet haben, auch nur in diesen wirksam sein können.
Das Foyer Forschung ist eine Veranstaltungsreihe des Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“ und des Kulturwissenschaftlichen Kollegs der Universität Konstanz, die in Kooperation mit dem Stadttheater Konstanz einmal im Semester öffentlich brisante Wissenschaftsthemen in ein städtisches Forum bringen.
Faktenübersicht:
- Veranstaltung: Foyer Forschung „Autorität und Widerstand. Bürgerproteste und ihre (Ohn)Macht“, freier Eintritt
- Wann: Donnerstag, 18. Januar 2018
- Wo: Foyer der Spiegelhalle des Stadttheaters Konstanz, Hafenstraße 12, Konstanz
- Podiumsteilnehmende: Die Ethnologin Dr. Katharina Bodirsky von der Universität Konstanz, der Historiker Dr. Florian Peters vom Berliner Institut für Zeitgeschichte und der Soziologe Dr. Simon Teune vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin
- Veranstaltungsreihe des Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“ und des Kulturwissenschaftlichen Kollegs der Universität Konstanz in Kooperation mit dem Stadttheater Konstanz.