Ausschnitt vom Buchcover
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Chinesische Weisheit zum Runterladen

Ein chinesischer Nachwuchswissenschaftler an der Universität Konstanz und seine Frau schreiben über interkulturelle Verständigung zwischen chinesischen DoktorandInnen und ihren BetreuerInnen an deutschen Universitäten – und erreichen mit dieser Konstanzer Online-Veröffentlichung über 100.000 Leser

Was erleben chinesische Promovierende in Deutschland als Kulturschock? Dr. Keshun Zhang und seine Ehefrau Shuang Song sind sich in ihrer Antwort einig: Spiegelstriche. „Was sind denn Spiegelstriche? Wir wären nie darauf gekommen, Spiegelstriche zu verwenden!“, erklärt das Ehepaar, während es über seine frühen Studienerfahrungen an unterschiedlichen Universitäten in Baden-Württemberg reflektiert. „Dabei sind Gesprächsvorbereitungen anhand von Spiegelstrich-Notizen effizient und helfen dabei, die Treffen mit BetreuerInnen klar und fokussiert zu gestalten“, erklärt Keshun Zhang. „Ich verwende sie inzwischen für alles, von Präsentationen über Arbeitsentwürfe bis hin zu Interviews“, fügt er hinzu.

Spiegelstriche statt ausformulierter Texte zu verwenden ist nur ein kleiner der vielen hilfreichen Tipps, die Keshun Zhang und Shuang Song in ihr Handbuch „When a Chinese PhD Student Meets a German Supervisor: Tips for PhD Beginners“ aufgenommen haben. Es bildet den zweiten Band der Serie „Universität von innen – Berufsfelder, Karrierewege, Personalentwicklung”, die von Dr. Thomas Götz, Professor für empirische Bildungsforschung an der Universität Konstanz und der Pädagogischen Hochschule Thurgau, und von Dr. Bettina Duval, Leiterin des Academic Staff Development (ASD) der Universität Konstanz, herausgegeben wird. Seit die PDF-Version des Buches im Oktober 2016 im Konstanz Online Publication System (KOPS), dem digitalen Institutionellen Repositorium der Universität Konstanz, veröffentlicht wurde, ist sie über 100.000 Mal heruntergeladen worden – häufiger als jede andere frei zugängliche Publikation der Universität.

Das chinesische Ehepaar hat sich während seiner Zeit in Konstanz mit der Universität sehr vertraut gemacht. Keshun Zhang hat an der Graduiertenschule Entscheidungswissenschaften der Universität Konstanz in Psychologie promoviert und ist nun ein Postdoctoral Fellow am Zukunftskolleg. Shuang Song, die ebenfalls in Konstanz lebt, hat einen Masterabschluss von der Universität Freiburg, wo sie zurzeit auch als Doktorandin am Englischen Seminar forscht. In ihrem Buch lassen beide ihre bisherigen gemeinsamen Erfahrungen, wie auch die Erlebnisse anderer chinesischer DoktorandInnen an der Universität Konstanz, für chinesisch- und englischsprachige Leser Revue passieren.

Die Idee für das Buchprojekt entstand aus Keshun Zhangs enger Zusammenarbeit mit dem Betreuer seiner Doktorarbeit, Prof. Dr. Thomas Götz. Dieser ermutigte ihn dazu, das Buch zu schreiben, nachdem es ihnen gelungen war, „kulturelle Unterschiede zu überbrücken und erfolgreich zusammenzuarbeiten.“ Thomas Götz ist nach wie vor davon überzeugt: „Von unseren gemeinsamen Erfahrungen können auch andere chinesische Promovierende und ihre deutschen BetreuerInnen profitieren“. Auf 80 Seiten mit 22 Abbildungen von Shuang Song werden die verschiedenen Erfahrungen von Ming geschildert, einem fiktionalen chinesischen Doktoranden in Deutschland, der sich als Nachwuchswissenschaftler mit eben jenen Herausforderungen konfrontiert sieht, die auch die Autoren und andere chinesische Promovierende meistern mussten.

“A teacher for one day is a father for a lifetime”

Zusätzlich zu vielen praktischen Tipps zum deutschen Hochschulsystem beschäftigen sich der Autor und die Autorin besonders mit den grundlegenden Themen der interkulturellen Verständigung und der Kommunikation:

Ihr fiktionaler Doktorand Ming hat in China gelernt, dass es unhöflich ist, Vorgesetzten oder KollegInnen offen zu widersprechen, und dass eine negative Äußerung schnell als Beschwerde verstanden wird. Chinesische DoktorandInnen zögern außerdem aus Angst davor, Schwäche zu zeigen, ihre Probleme zu thematisieren oder um Hilfe zu bitten. In Deutschland fällt es Ming deshalb schwer, seine persönlichen Ansichten zu verteidigen, seine Probleme offen anzusprechen oder Unterstützung einzufordern. Er möchte niemandem zur Last fallen. Mit diesem Szenario möchte Keshun Zhang anderen internationalen Promovierenden vermitteln, „dass ein Problem anzusprechen und Unterstützung zu erbeten keinesfalls bedeutet, Schwäche zu zeigen, sondern dass es vielmehr Mut zur Auseinandersetzung mit der Realität zeigt.“ Deshalb möchte er chinesische Promovierende darin bestärken, sowohl Gutes wie auch Schlechtes zu thematisieren – ganz egal, ob es dabei um Forschung, Arbeit oder Finanzielles geht – und bekräftigt sie darin, frühzeitig um Unterstützung zu bitten, wenn Probleme auftauchen. „Das führt langfristig zu konstruktiver Zusammenarbeit mit KollegInnen und BetreuerInnen und hilft dabei, Missverständnissen und eventuellen Verzögerungen bei der Durchführung von Projekten vorzubeugen,“ fügt er hinzu.

Keshun Zhang und Shuang Song vermuten, dass es deutschen BetreuerInnen nicht immer bewusst ist, wie wichtig sie für ihre chinesischen DoktorandInnen sind, und zwar nicht nur was akademische Belange, sondern auch das Leben im Allgemeinen anbelangt. Chinesische DoktorandInnen betrachten ihre „Doktormutter“ bzw. ihren „Doktorvater“ als wichtigste Bezugsperson während ihrer Promotion und messen deren Erfahrungen, Feedback und Unterstützung große Bedeutung zu. So ist auch Mings Betreuer für ihn nicht nur ein Vorgesetzter, sondern auch sein Mentor. Schließlich – und daran wird auch Ming erinnert – gilt die chinesische Weisheit: „A teacher for one day is a father for a lifetime“.

An unseren Erfahrungen teilhaben

Das Buch „When a Chinese PhD Student Meets a German Supervisor: Tips for PhD Beginners” richtet sich nicht nur an chinesische Promovierende und ihre deutschen BetreuerInnen, sondern auch an MitarbeiterInnen universitärer Auslandsämter sowie an LeserInnen, die gerne mehr über die chinesische Kultur lernen oder ihre eigene, deutsche Kultur kritisch von außen beleuchten möchten.

Seit der Veröffentlichung ihres Buches haben Keshun Zhang und Shuang Song viele E-Mails und Leserfragen aus der ganzen Welt zu ihrer Studienerfahrung in Deutschland erhalten. Tatsächlich war das Buch bereits in der ersten Woche so beliebt, dass es auf der KOPS-Website aufgrund der großen Anzahl gleichzeitiger Downloadversuche zeitweise Verzögerungen gab. Inzwischen sendet die chinesische Botschaft allen chinesischen Promovierenden in Deutschland den Link zur KOPS-Website zu. Zusätzlich wurde Keshun Zhang unlängst von einem amerikanischen Journalisten interviewt und in dessen Leitartikel zum Thema Karriere in der Ausgabe der Zeitschrift Nature vom 24. Mai 2018 zitiert. Darüber hinaus haben ihn einige Universitäten in China sowie im weiteren Ausland eingeladen, als Gastredner von seinen Erfahrungen als chinesischer Doktorand in Deutschland zu berichten.

Keshun Zhang und Shuang Song freuen sich sehr darüber, dass ihr Buch in so kurzer Zeit über 100.000 Mal heruntergeladen wurde. Warum es so beliebt ist? Thomas Götz ist der Meinung, dass das Buch besonders aufgrund seiner praktischen Relevanz sowohl für Promovierende als auch ihre BetreuerInnen gerne gelesen wird: „Die klare Sprache und ansprechenden Bilder lassen sich keineswegs auf reine Kulturkritik reduzieren. Im Gegenteil, das Buch handelt von alltäglichen Herausforderungen und davon, wie man diese bewältigt.“ Das Ehepaar führt die Beliebtheit ihres Buches insbesondere darauf zurück, dass es über den Open-Access Server KOPS der Universität Konstanz frei zugänglich ist. „Uns ist wichtig, dass jeder an unseren Erfahrungen teilhaben kann“, sagt Keshun Zhang. Und dazu gehört natürlich auch seine neu entdeckte Vorliebe für Spiegelstriche.

Faktenübersicht:

  • “When a Chinese PhD Student Meets a German Supervisor: Tips for PhD Beginners” der chinesischen NachwuchswissenschaftlerInnen Dr. Keshung Zhang und Shuang Song beschäftigt sich mit der interkulturellen Verständigung zwischen chinesischen DoktorandInnen und ihren deutschen BetreuerInnen
  • Veröffentlichung im Konstanz Online Publication System (KOPS) mit mehr als 100.000 Downloads, mehr als jede andere Open-Access-Publikation der Universität Konstanz
  • Beinhaltet praktische Hinweise zum deutschen Hochschulsystem sowie Einblicke zur interkulturellen Verständigung und offenen Kommunikation
  • Zielleserschaft sind chinesischen DoktorandInnen, deutsche BetreuerInnen, universitäre Auslandsämter, und eine breitere Leserschaft, die sich für chinesische Kultur interessiert, oder dafür, wie deutsche Forschungskultur international wahrgenommen wird
  • Keshun Zhang wird als Gastredner an verschiedenen Universitäten in China und dem weiteren Ausland über seine Erfahrungen in Deutschland berichten