Wie fühlen sich Lehrkräfte im Unterricht?

Bildungsforscher aus Konstanz und Kreuzlingen untersuchen die Emotionen von Lehrerinnen und Lehrern im Unterricht

Das emotionale Erleben von Lehrkräften findet in der Bildungsforschung zunehmend Beachtung. Man geht davon aus, dass Emotionen Wirkungen auf die Motivation der Lehrkräfte, die Qualität ihres Unterrichts und nicht zuletzt auf ihre Gesundheit zeigen. Fragt man Lehrkräfte rückblickend nach ihren generellen Emotionen im Unterricht, geben sie intensivere Emotionen an, als wenn sie mehrmals direkt im Unterricht befragt werden.

Prof. Dr. Thomas Götz, Eva Becker, Dr. Melanie Keller sowie Juniorprofessorin Dr. Madeleine Bieg, empirische Bildungsforscher an der Universität Konstanz und der Pädagogischen Hochschule Thurgau (PHTG), untersuchten gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und der McGill University in Montreal (Kanada), wie diese Diskrepanz in der Wahrnehmung entstehen kann. Dazu befragten sie Lehrkräfte in über 1.000 Unterrichtsstunden nach ihrem emotionalen Erleben.

Es zeigte sich, dass Lehrkräfte mit einer höheren emotionalen Erschöpfung (Burnout) ihre negativen Emotionen in der Retrospektive intensiver einschätzten als Lehrkräfte ohne Erschöpfungserscheinungen. Im Vergleich zu den im Unterricht tatsächlich erlebten negativen Emotionen überschätzen sie diese deutlich. Die detaillierten Ergebnisse der Studie wurden in der Open Access Zeitschrift „PLOS ONE“ veröffentlicht.

Die Forscher führten eine Studie mit 69 Lehrkräften an deutschen Gymnasien durch. Dabei berichteten die Lehrkräfte zunächst in einem Fragebogen, wie stark sie generell in ihrem Fachunterricht Emotionen wie Freude, Stolz, Ärger, Angst, Scham oder Langeweile erleben. Zudem wurden sie über den Grad ihrer emotionalen Erschöpfung befragt. Über einen Zeitraum von zwei Wochen hinweg gaben sie anschließend mittels eines Handcomputers über ihr aktuelles Empfinden während des Unterrichts Auskunft, wobei die Zeitpunkte zufällig gewählt wurden. Das Ausfüllen der dafür eingesetzten Kurzfragebögen dauerte weniger als 30 Sekunden, so dass der Unterricht kaum unterbrochen werden musste. Insgesamt erhielten die Forscher so Einblick in über 1.000 Unterrichtsstunden der Lehrkräfte.

Die Auswertung der Studien zeigte, dass bei der rückblickenden Befragung die Lehrkräfte ihre positiven wie negativen Emotionen höher einschätzten als in der Befragung direkt im Unterricht. Wie angenommen, zeigten sich dabei zusätzlich systematische Unterschiede, die vom Grad der emotionalen Erschöpfung der Lehrkräfte abhingen. So trat bei Lehrkräften mit hoher emotionaler Erschöpfung eine stärkere Diskrepanz auf zwischen den rückblickend eingeschätzten und den tatsächlich erlebten negativen Emotionen im Unterricht als bei Kollegen und Kolleginnen mit geringer Erschöpfung. Bei positiven Emotionen zeigte sich dieser Unterschied dagegen nicht.

Dieser Befund erklärt sich für die Bildungsforscher damit, dass bei rückblickenden Befragungen eigene Überzeugungen eine weitaus größere Rolle spielen als bei Befragungen „im Hier und Jetzt“, wie aus der bisherigen Forschung bekannt ist.

Die Tatsache, dass eine Lehrkraft sich emotional ausgelaugt und erschöpft fühlt, wird Teil ihrer Gedanken und Überzeugungen zur eigenen Person und wirkt sich damit auch auf ihre rückblickende Beurteilung (negativer) Erfahrungen aus. Dies kann letztlich zu einem Teufelskreis führen: Lehrkräfte erleben negative Emotionen im Unterricht, fühlen sich dann emotional erschöpft und überschätzen dadurch dann auch noch rückblickend die Intensität ihrer negativen Emotionen im Unterricht. Aus diesem Grunde empfehlen die Forscher, dass Lehrkräfte versuchen sollten, mögliche schädliche Überzeugungen aufzudecken, zum Beispiel indem sie regelmäßig Emotionstagebücher direkt nach dem Unterricht ausfüllen – denn Freude im Unterricht ist die von den Lehrkräften mit Abstand am häufigsten berichtete Emotion im Unterricht.


Originalveröffentlichung:
Goetz, T., Becker, E. S., Bieg, M., Keller, M. M., Frenzel, A. C., & Hall, N. C. (2015). The glass half empty: How emotional exhaustion affects the state-trait discrepancy in self-reports of teaching emotions. PLoS ONE 10(9): e0137441. doi:10.1371/journal.pone.0137441