Jenseits der Scheuklappen

Presseinformation Nr. 102 vom 27. Oktober 2014

Dem Konstanzer Historiker Prof. Dr. Jürgen Osterhammel wurde in einer Feierstunde in Darmstadt der Sigmund-Freud-Preis überreicht


Prof. Dr. Heinrich Detering, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (links), überreichte dem Konstanzer Historiker Prof. Dr. Jürgen Osterhammel (rechts) bei einer Feierstunde im Staatstheater Darmstadt den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa.
Foto: Jens Gerdes/Deutsche Akademie

„Die Prosa in den Werken Jürgen Osterhammels dient der Entfaltung einer historischen Vernunft.“ So hieß es in der Laudatio zur Verleihung des Sigmund-Freud-Preises für wissenschaftliche Prosa am vergangenen Samstag, 25. Oktober 2014, bei einer Feierstunde in Darmstadt. Dort nahm der Konstanzer Historiker Prof. Dr. Jürgen Osterhammel die renommierte und mit 20.000 Euro dotierte Auszeichnung aus den Händen des Präsidenten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Prof. Dr. Heinrich Detering, entgegen. Osterhammel wurde für sein Gesamtwerk, insbesondere für sein Buch „Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts“ aus dem Jahr 2009 geehrt. Bei der Feierstunde im Staatstheater wurden auch der Georg-Büchner-Preis sowie der Johann-Heinrich-Merck-Preis verliehen.

Jürgen Osterhammel, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Konstanz, habe „Ernst gemacht mit dem Anspruch, Weltgeschichte auf der Höhe unseres gegenwärtigen Problembewusstseins und gleichzeitig auf dem Stand gegenwärtiger Geschichtswissenschaft zu schreiben“, führte Prof. Dr. Lutz Raphael aus, Fachkollege an der Universität Trier und Laudator des Preisträgers. Der „Universalhistoriker“ Osterhammel habe mit seinen Büchern „die enge Welt der hochspezialisierten Fachkreise“ verlassen. „Stets hatte er beide, die Fachkollegen und die neugierigen Weltbürger, im Blick“, führte der Laudator aus. Lutz Raphael ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“ der Universität Konstanz.

In seiner Würdigung des neuen Trägers des Sigmund-Freud-Preises, der seit 1964 von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung für die Vermittlung komplexer wissenschaftlicher Inhalte in allgemeinverständlicher Sprache verliehen wird, ging Lutz Raphael auch „auf die beeindruckende Darstellungsleistung“ Jürgen Osterhammels ein. Diese zeichne sich durch Klarheit, Eleganz und Geschmeidigkeit aus. Jürgen Osterhammel suche immer wieder den Dialog mit seiner Leserschaft und verführe sie damit zum Mitdenken. Hinter dem Prosastil sei auch der Denkstil eines Historikers zu entdecken, „der die intellektuellen Herausforderungen seines Faches ernst nimmt, einen festen Platz im Ensemble der Wirklichkeitswissenschaften einzunehmen“. Dies sei eng verbunden mit dem Projekt der Aufklärung, „die Chancen kulturüberschreitender Vergleiche zu nutzen und eine Globalgeschichte jenseits der Scheuklappen der eigenen kulturellen Vorannahmen zu schreiben“. Mit dem Sigmund-Freud-Preis sind Namen wie Hannah Arendt, Werner Heisenberg, Ralf Dahrendorf und der des Konstanzer Historikers Arno Borst verbunden.

Jürgen Osterhammel stellte in seiner Dankesrede unter anderem das wissenschaftliche Schreiben als ständige Entscheidung für eine bestimmte literarische Form dar. Es sei „das große Glück der Historiker“, sich aus einem breiten Repertoire von Genre und Stilmittel bedienen zu können. Sein kurzer Überblick über erste Sätze bedeutender Werke endete mit Sigmund Freud, dem Namensgeber des Preises, dessen Leichtigkeit er als das „Kunstvollste überhaupt“ bezeichnete. 

Jürgen Osterhammel lehrt und forscht seit 1999 an der Universität Konstanz. Er wurde 2010 mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis und 2012 mit dem Gerda Henkel Preis ausgezeichnet. Die altehrwürdige British Academy ernannte ihn im Juli 2014 zu ihrem Korrespondierenden Mitglied.