Historische Untersuchung des Werdegangs von Hans Robert Jauß während der NS-Zeit liegt vor
Presseinformation Nr. 48 vom 20. Mai 2015
Wissenschaftliche Dokumentation erhärtet die Zwischenergebnisse vom November 2014 – Öffentliche Präsentation der Ergebnisse am 20. Mai 2015 an der Universität Konstanz
Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Biographie von Prof. Dr. Hans Robert Jauß während der Zeit seiner Zugehörigkeit zur Waffen-SS liegt nun vor. Die Sichtung und Auswertung zusätzlicher Quellen durch den Historiker Dr. Jens Westemeier erhärten dessen erste Forschungsergebnisse vom November 2014. So standen unter anderem noch Archivbesuche in Prag (Tschechien), Belgrad (Serbien) und Stutthof (Polen) aus. Der ausgewiesene Experte für die Geschichte und Biografie-Forschung der Waffen-SS war im April 2014 von der Universität Konstanz mit der Erstellung einer wissenschaftlichen Dokumentation zur Biografie von Hans Robert Jauß beauftragt worden. Seine Ergebnisse basieren auf der Auswertung einer größtmöglichen Quellenbasis, die weit über 20 Archivbesuche berücksichtigt und wegen ihrer Breite von bemerkenswert großer Aussagekraft ist. Der folgende Text stellt eine Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse der Dokumentation von Dr. Jens Westemeier dar.
Aufgrund der umfangreichen Quellenlage war es möglich, den Lebensweg von Hans Robert Jauß – angefangen bei dessen Kindheit, über den Krieg und bis in die unmittelbaren Nachkriegsjahre hinein – nahezu lückenlos nachzuvollziehen. Die Dokumente zeigen die frühe Sozialisierung von Hans Robert Jauß im Sinne des nationalsozialistischen Gedankenguts. Die Eltern Robert und Marianne Jauß traten frühzeitig in nationalsozialistische Organisationen ein, Robert Jauß 1933 in den nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB), Marianne Jauß 1934 in die NS-Frauenschaft. In der Schule hatte Jauß Lehrer, die dem NS-System ideologisch nahestanden und sich zum Beispiel für die Einführung des NS-Weltanschauungsunterrichtes einsetzten. Nachkriegsaussagen von Mitschülern von Jauß dokumentieren den großen Einfluss des damaligen Klassenlehrers auf seine Schüler und zeigen, wie weit diese bereits nationalsozialistisch indoktriniert waren.
Der Eintritt des 12-jährigen Hans Robert Jauß in das Deutsche Jungvolk ist sicher nicht als politisches Bekenntnis zu werten, obwohl dies 1934 noch nicht Pflicht war. Mit der Überführung 1935 aus Altersgründen in die Hitlerjugend (HJ) erfährt Jauß eine paramilitärische Ausbildung und nationalsozialistische Schulung.
Bereits 1936 qualifizierte sich Jauß für einen Führungslehrgang an der Gebietsführerschule, wo er auch ideologischen Unterricht erhielt. Damit gehörte er zu den 16 Prozent aller HJ-Führer, die geschult wurden. Er stieg bis zum Oberjungzugführer auf, was eine nationalsozialistische Überzeugung voraussetzte. Zuletzt führte er ein sogenanntes „Fähnlein“, das sich aus 160 jungen HJlern, sogenannten Pimpfen, zusammensetzte. Mit seinem Engagement und dem Einsatz seiner Führungsqualitäten hob sich Jauß vom einfachen HJ-Mitglied ab. Jauß war ein aus seiner Generation hervortretender hoch politisierter junger und ehrgeiziger Mann.
Auch der Übertritt des HJ-Führers Jauß in die Waffen-SS, die 1939 noch SS-Verfügungsgruppe hieß, war kein biografischer Zufall, sondern wurde für Angehörige der Hitlerjugend als natürlicher Schritt angesehen. Der bewaffnete Arm der SS verstand sich als weltanschauliche Elite des Nationalsozialismus. Die Meldung muss als das Bekenntnis des 17-jährigen Schülers Jauß zum Nationalsozialismus interpretiert werden, welche das Ergebnis seiner Erziehung in Elternhaus, Schule und Hitlerjugend war. Die nationalsozialistische Weltanschauung war zentrales Element der Waffen-SS.
Im Jahr 1940 wurde Jauß Kompaniemelder, er wurde zur Befragung französischer Kriegsgefangener eingesetzt, zum SS-Sturmmann befördert und zu einem „Kriegs-Reserve-Führer-Anwärter-Lehrgang“ kommandiert. Bei solchen Lehrgängen war die weltanschauliche Schulung der militärischen gleichrangig. Nach erfolgreichem Abschluss dieses „Junker-Lehrganges“ erfolgte im September 1941 seine Beförderung zum SS-Untersturmführer der Reserve. Damit stieg Jauß innerhalb von knapp zwei Jahren ins SS-Führercorps auf.
Als Jauß 1942 mit der Freiwilligen Legion Niederlande an der Ostfront eintraf und im heute russischen Selo-Gora Quartier nahm, wurde er Teil der verbrecherischen deutschen Kriegsführung im Rahmen der Heeresgruppe Nord, die sich unter anderem gegen die eingeschlossene Bevölkerung in Leningrad richtete. Während der zweieinhalbjährigen Blockade und Aushungerung der Stadt verloren bekanntlich zirka 1,1 Millionen Leningrader ihr Leben. Die Bevölkerung in den umliegenden besetzten Gebieten litt nicht weniger. Die Legion Niederlande führte aber nicht nur Krieg gegen die Rote Armee; in Einzelfällen kam es zu Ausschreitungen gegen die Zivilbevölkerung.
Jauß äußerte sich 1947 im Spruchkammerverfahren dahingehend, die Ausschreitungen gegen die Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete, von denen er „mitunter“ aus dem Mittelteilungsblatt der SS- und Polizeigerichte erfahren habe, seien „entsprechend geahndet worden“. Ebenfalls sei ihm bekannt gewesen, dass Kriegsgefangene erschossen worden seien, zumeist jedoch „im Rahmen der Gegenseitigkeit“. Er bestritt entschieden, von durch die Waffen-SS begangenen Kriegsverbrechen gewusst zu haben. Aussagen wie diese finden sich durchgängig in Nachkriegserklärungen von SS-Veteranen.
Die SS-Freiwilligen-Panzergrenadier-Brigade Nederland, die aus der Legion Niederlande hervorgegangen war, wurde ab September 1943 mit dem Regiment Seyffardt im Partisanenkampf in Kroatien eingesetzt. Mit der Ankunft der SS-Verbände verschärfte sich die Lage. Jauß‘ 4. Kompanie, deren Führung ihm am 1. August 1943 übertragen worden war, wurde zu einer beweglichen Eingreiftruppe bestimmt. Ihre Aufgabe bestand darin, „Banden“ aufzuspüren. Am 4. Oktober wurde die Kompanie von Jauß zu einem Angriff auf das Dorf Cadar angesetzt. Am 28. Oktober ging das I. Bataillon, zu der Jauß‘ Kompanie gehörte, gegen die Zivilbevölkerung westlich von Krapina vor. 458 Menschen wurden aus ihren Höfen und Häusern gejagt und vertrieben, die Gebäude wurden niedergebrannt. Ein älterer Mann wurde von der SS ermordet. Laut Berichten von Partisanen kamen außerdem eine Dorfbewohnerin und zwei Kinder durch Feuer ums Leben. Zehn Geiseln wurden genommen, deren Schicksal unbekannt ist. Insgesamt wurden im Verlauf dieser SS-Aktion vier kroatische Dörfer niedergebrannt, die Gegend wurde ausgeplündert.
Die Beteiligung des I. Bataillons, zu dem Jauß’ Kompanie gehörte, an diesen Exzessen gegen die Zivilbevölkerung, bei denen mindestens ein Mensch ermordet wurde, ist durch verschiedene zeitgenössische Quellen sowie Nachkriegsaussagen nachgewiesen. Eine individuelle Tatbeteiligung von Jauß ist nicht nachgewiesen. Als Kompanieführer trug er jedoch Mitverantwortung an den Kriegsverbrechen des Bataillons, dem seine Kompanie angehörte. Ausgeschlossen ist, dass Jauß als Kompanieführer von den Verbrechen keine Kenntnis hatte. Am 9. November 1943 wurde er vor Ort zum SS-Obersturmführer der Reserve befördert.
Nach einem weiteren Einsatz der 4. SS-Freiwilligen-Panzergrenadier-Brigade Nederland an der Ostfront trat Jauß am 22. Mai 1944 seinen Dienst an der SS-Panzer-Grenadier-Schule Prosetschnitz/ Kienschlag in der Nähe von Prag an, wo er Chef der wallonisch-französischen Inspektion wurde. Aufgabe war unter anderem die weltanschauliche Erziehung und die Feststellung der für einen SS-Führer erforderlichen gefestigten Haltung der Junker. Im November wurde Jauß als Angehöriger der Inspektion der französischen SS-Verbände mit knapp 23 Jahren zum SS-Hauptsturmführer der Reserve befördert, womit er einer der jüngsten SS-Hauptsturmführer in der Waffen-SS war und zur Spitzengruppe eines Jahrganges gehörte. Bereits seit September 1944 hatte Jauß den Dienstposten Ia und war damit Erster Generalstabsoffizier eines Verbandes.
Nach Kriegsende legte Jauß im Herbst 1945 bei seiner Immatrikulation an der Universität Bonn durchweg gefälschte Papiere vor, deren Echtheit er an Eidesstatt versicherte. Die Fälschungen bezogen sich nicht nur auf die Verschleierung seines SS-Führerdienstgrades und seiner Waffen-SS-Zugehörigkeit, sondern auch auf seinen Besuch der Universität Prag. Laut Abschrift einer Bestätigung des Rektors der Deutschen Karls-Universität in Prag vom 27. März 1945 gehörte Jauß bis zum 15. März 1945 zwei Semester der Universität an. Der Rektor der Prager Universität konnte die Bestätigung jedoch nicht ausgestellt haben, da er sich bereits im August 1944 das Leben genommen hatte. Auch bezüglich seiner Truppenzugehörigkeit legte Jauß falsche Dokumente vor.
Nachdem er sich am 17. Dezember 1945 den britischen Besatzungsbehörden gestellt hatte, wurde er umgehend interniert. 1947 wurde er zweimal vom Spruchgericht Recklinghausen vernommen und als Angehöriger einer verbrecherischen Organisation zu einer Geldstrafe verurteilt, die Internierungszeit wurde ihm angerechnet.
Das Urteil des Spruchgerichtes stützte sich auf die Aussagen von Jauß. Dieser hatte im Spruchkammerverfahren wahrheitswidrig behauptet, dass er und seine Truppe nicht „zu Maßnahmen gegen Partisanen oder gegen die Widerstandsbewegung“ eingesetzt worden seien. Spruchkammerverfahren waren im Allgemeinen keineswegs mit einem Prozess vor einem alliierten Militärgericht zu vergleichen. Die Verfahren hatten in der Regel eine nur sehr eingeschränkte Aussagekraft über die tatsächliche Beteiligung an NS-Gewalt- oder Kriegsverbrechen. Nach den vorliegenden Quellen stellt die Behauptung von Jauß, sein Eintritt in die Waffen-SS sei keine politische Entscheidung gewesen, ein nachträgliches Narrativ dar, das typisch für SS-Führer im Umgang mit der eigenen Vergangenheit ist. Der Erklärung, er habe sich vom Eintritt in die Waffen-SS Vorteile für die spätere Zulassung zum Studium versprochen, muss mit der Frage konfrontiert werden, warum es nach einem gewonnenen Krieg, von dem selbstverständlich ausgegangen wurde, Zulassungsbeschränkungen an Universitäten hätte geben sollen. Sicher ausgeschlossen werden kann, dass Jauß von den Kriegsverbrechen der Waffen-SS, insbesondere an seinen Einsatzorten in Kroatien, keine Kenntnis hatte. Insgesamt gleichen Jauß‘ Aussagen den üblichen Entschuldigungsmustern der Tätergeneration. Hans Robert Jauß war qua Befehlsgewalt an Kriegsverbrechen beteiligt.