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Impfpflicht: Was Widerstand und Akzeptanz bewegt

Studie der Universität Konstanz und des Santa Fe Institute: Die Einführung einer Impfpflicht könnte den Widerstand verhärten, aber dennoch notwendig sein. Vertrauen in den Staat und in den Impfstoff ist zentral für die Impfbereitschaft und die Akzeptanz einer Impfpflicht.

Das Thema Impfpflicht wird sehr kontrovers diskutiert. Viele Länder stehen gegenwärtig vor dem Problem, dass der Anteil an freiwillig Geimpften nicht ausreicht, um die Corona-Pandemie zu durchbrechen. Die Einführung einer Impfpflicht führt aber vielerorts zu Protesten, kann Vertrauen in die Regierungen erschüttern und möglicherweise die freiwillige wiederholte Impfbereitschaft in der Bevölkerung untergraben.

ForscherInnen der Universität Konstanz und des Santa Fe Institute (USA) beobachteten, wie sich die Haltung zur Impfung der gleichen rund 2.000 Deutschen zwischen April 2020 und Mai 2021 entwickelte. Die repräsentative Studie zeigt: Impfskepsis ist nicht unveränderlich. Die meisten der ImpfskeptikerInnen rückten an zumindest einem Punkt des Pandemieverlaufs von ihrem Widerstand ab. Die frühe Einführung einer Impfpflicht hätte jedoch rückblickend mehr Widerstand gegen Impfungen hervorgerufen und dazu geführt, dass man mehr Menschen gegen ihren Willen hätte impfen müssen. Gemäß den Ergebnissen der Studie hätte eine Impfpflicht die Zahl der konsequenten, also nicht von ihrer Haltung abrückenden ImpfgegnerInnen um das Fünffache vergrößert (von 3,3 Prozent auf 16,5 Prozent).

Dennoch sehen die WissenschaftlerInnen in der augenblicklichen Pandemielage einen Sinn in einer möglichen Impfpflicht. „Wenn das Ziel ist, möglichst alle Impflücken zu schließen und die Auffrischungsimpfungen langfristig auf hohem Niveau zu halten, wird sich eine Impfpflicht nicht vermeiden lassen“, schildert die Konstanzer Verhaltensökonomin Dr. Katrin Schmelz. „Eine gesetzliche Impfpflicht würde aber keinesfalls ersetzen, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen und SkeptikerInnen vom Sinn der Impfung zu überzeugen. Falls eine Impfpflicht in Kraft treten sollte, dann sollten fachliches Überzeugen und gesetzlicher Zwang kein Entweder-Oder sein, sondern ineinandergreifen.“

Die Studie wurde am 22. März 2022 im Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA (PNAS) veröffentlicht. Sie folgt auf zwei frühere Veröffentlichungen von Schmelz und Bowles in PNAS über Impfpolitik und -einstellungen (siehe unten, in der Faktenübersicht).

Impfskepsis nicht unveränderlich
Die Online-Studie wurde in bislang drei Befragungswellen zwischen April 2020 und Mai 2021 vom Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ an der Universität Konstanz durchgeführt. Die ForscherInnen befragten dieselben Personen zu drei verschiedenen Zeitpunkten. Dadurch konnten sie nachvollziehen, wie sich die Haltung dieser Personen zur Impfung im Verlauf der Pandemie änderte.

„Nur ein sehr kleiner, ‚harter Kern‘ der Impfgegner hat permanent die freiwillige Impfung abgelehnt. Unsere Studie zeigt, dass dies nur auf 3,3 Prozent der Befragten zutrifft“, führt Katrin Schmelz aus. „Im Fall einer frühen Impfpflicht wäre der Anteil der hartnäckigen Impfgegner jedoch auf 16,5 Prozent gestiegen – das ist das Fünffache des ‚harten Kerns‘ an Gegnern der freiwilligen Impfung.“ Dass sich die deutsche Politik auf einem Kontinuum von reiner Freiwilligkeit zu mehr Druck auf Ungeimpfte bewegt hat, könne gleichzeitig zu mehr Impfungen und mehr Widerstand geführt haben. Siehe hierzu die untenstehende Grafik

„Auch wenn es zweifellos einen harten Kern an ImpfgegnerInnen gibt, die sich partout nicht überzeugen lassen: Beim weitaus größeren Teil der ImpfskeptikerInnen waren die Meinungen nicht unverrückbar. Unsere Befragungen zeigen: Die meisten der ImpfskeptikerInnen änderten ihre Haltung gegen die Impfung im Verlauf der Pandemie“, zeigt Katrin Schmelz auf. Eine Rolle spielte dabei einerseits die wahrgenommene Bedrohungslage durch die Pandemie, aber andererseits auch ein gewachsenes Vertrauen in die staatlichen Maßnahmen und insbesondere in die Wirksamkeit der Impfung.

Impfpflicht und Vertrauen
Die Impfskepsis resultiere sehr häufig aus einem Misstrauen gegenüber der Regierung, fanden die ForscherInnen heraus. Gerade darum sei es im Fall einer Impfpflicht umso wichtiger, dass Verständnis für den Sinn der Maßnahme geschaffen würde. Das Vertrauen in den Staat sei für das Impfverhalten entscheidend, unterstreicht Schmelz: „Der Gesetzgeber befürchtet zu Recht, dass die Einführung einer Impfpflicht das Vertrauen der Personen, auf die eine Impfpflicht abzielt, untergraben würde. Um jedoch das Vertrauen der großen, geimpften Mehrheit zu erhalten, könnte es hingegen erforderlich sein, eine schärfere Linie gegen das Virus zu fahren, darunter eine Impfpflicht.“

Wichtig ist den WissenschaftlerInnen, dass im Fall der Einführung einer Impfpflicht zugleich verstärkte Aufklärung über die Impfung betrieben wird, um Vertrauen und Akzeptanz zu schaffen. „Aufklären sollten in erster Linie Menschen, denen man vertraut, allen voran Ärzte im persönlichen Gespräch“, so Schmelz.

Die Studie bestätigt ferner, dass der Dissens bezüglich der Impfung mitten durch die Gesellschaft geht. „Die konsequenten Impfgegner sind statistisch nicht von anderen unterscheidbar, was Bildung, Einkommen, Geschlecht und andere sozio-demographische Faktoren angeht“, ergänzt Prof. Samuel Bowles, Wirtschaftswissenschaftler am Santa Fe Insitute und Ko-Autor der Studie. „Das ist vergleichbar mit den USA, wo die Unterschiede in der Haltung zur Impfung zwischen Republikanern und Demokraten weitaus größer sind als zwischen verschiedenen Einkommensgruppen, Bildungsniveaus oder ethnischen Gruppen“, so Bowles.

Der Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ wird im April eine vierte Welle der Umfrage durchführen.

Faktenübersicht:

  • Originalpublikation: K. Schmelz, S. Bowles, Opposition to voluntary and mandated COVID-19 vaccination as a dynamic process: Evidence and policy implications of changing beliefs. Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) 119 (2022).
    DOI: https://doi.org/10.1073/pnas.2118721119. Link: https://www.pnas.org/doi/full/10.1073/pnas.2118721119
  • Repräsentative Umfrage in drei Befragungswellen mit den gleichen 2.018 Personen aus Deutschland ab 18 Jahren.
  • Kernergebnisse:
    • Nur 3,3 Prozent der Befragten lehnen eine freiwillige Corona-Impfung durchgängig ab.
    • Im Fall einer Impfpflicht lehnen 16,5 Prozent eine Corona-Impfung durchgängig ab.
    • Die Studie zeigt, dass Impfskepsis nicht unveränderlich ist. Impfbereitschaft nimmt zu, wenn z.B. das Vertrauen in die Wirksamkeit der Impfung sowie in die Regierung gestärkt wird.
    • Eine Impfpflicht ersetzt nicht die Aufklärung, betonen die WissenschaftlerInnen. Vertrauen und Akzeptanz zu gewinnen sei entscheidend.
  • Die Studie wurde gefördert durch: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ an der Universität Konstanz, Thurgauer Wirtschaftsinstitut, Santa Fe Institute
  • Vorausgehende Publikationen:
    • Katrin Schmelz, Samuel Bowles (2021): Overcoming COVID-19 Vaccination Resistance When Alternative Policies Affect the Dynamics of Conformism, Social Norms and Crowding-Out. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) 118, DOI: 10.1073/pnas.2104912118
      https://www.pnas.org/content/118/25/e2104912118
    • Schmelz, K. (2021): Enforcement may crowd out voluntary support for Covid-19 policies, especially where trust in government is weak and in a liberal society. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS), 118(1).
      https://doi.org/10.1073/pnas.2016385118