Myanmar: Die neue Generation Widerstand
Ethnologische Expertise zu den Protestbewegungen gegen den Militärputsch in Myanmar
Nach dem Militärputsch in Myanmar vom 1. Februar 2021 formierte sich eine breite Protestbewegung im Land. Obwohl das Militär die verbreitetsten Social Media-Kanäle blockierte, gelang es den Demonstrant*innen, dennoch weiterhin Informationen online zu teilen und die Proteste digital zu organisieren. Welche Gruppen formieren sich augenblicklich in den Protesten?
Die Konstanzer Ethnologin Prof. Dr. Judith Beyer macht auf eine besondere generationsübergreifende Dynamik innerhalb der Protestbewegung aufmerksam: „Die Proteste in Myanmar sind Ausdruck eines generationsübergreifenden Traumas aus den Erfahrungen einer fünfzigjährigen Militärdiktatur. Dies manifestiert sich nun in einer besonderen Interaktion zwischen den Generationen“, schildert Judith Beyer. In der Form der gegenwärtigen Proteste verbinde sich die Erfahrung der älteren Generation, die bereits eine jahrzehntelange Militärdiktatur erlebt hat, mit dem digitalen Know-how der jüngeren Generation, die in einer Dekade partieller demokratischer Freiheitsrechte aufwuchs.
„Die Jungen profitieren vom Erfahrungswissen der Älteren, wie ziviler Protest gegen eine Militärdiktatur geleistet werden kann. Im Gegenzug ermöglichen sie mit ihren digitalen Kompetenzen den Älteren, an den Protesten teilzunehmen und teils eine organisatorische Rolle einzunehmen“, erklärt Beyer: „Der Aktivismus im digitalen Raum kommt mit dem Aktivismus auf der Straße zusammen.“
Judith Beyer erforscht in Zentral- und Südostasien seit Jahren die Themenfelder von Staat, Recht und Rechtspluralismus sowie Neotraditionalisierung. In Myanmar forscht sie zur Rolle ethno-religiöser Minderheiten (Hindus und Muslime), Staatenlosigkeit und Aktivismus. Im Moment betreut sie zwei von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Promotionsprojekte, in denen Digitalrechtsaktivismus sowie die lokale Punk-Bewegung in Myanmar untersucht werden.
„Der Widerstand gegen das Militärregime fand viele Jahre lang sein Zentrum in den ikonischen Schlüsselpersonen General Aung San und seiner Tochter, der nun inhaftierten Aung San Suu Kyi. Das ändert sich gegenwärtig. Die Form des Widerstands ist nicht länger mehr eine ‚Familienangelegenheit‘“, führt Judith Beyer aus: „Die Proteste werden nun dezentral organisiert, ohne eine klare Führungsriege. Sie finden generationsübergreifend statt und vereinen sehr unterschiedliche Gruppen. Geradezu bezeichnend ist ihre gemeinsame Parole, die momentan auf den Straßen Myanmars zu hören ist: ‚Ihr habt euch mit der falschen Generation angelegt.‘“
Faktenübersicht:
- Prof. Dr. Judith Beyer ist Professorin für Ethnologie mit Schwerpunkt Politische Anthropologie an der Universität Konstanz.
- Judith Beyer arbeitet in ethnografischer Feldforschung schwerpunktmäßig in Zentral- und Südostasien zu politik- und rechtsethnologischen Fragestellungen. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem die Themenbereiche Staat und Staatenlosigkeit, soziale Ordnung, Autorität und Aktivismus.