Mitgliedschaft, Migration, Verfassung
Als Leitfrage des Projekts dient die Suche der deutschen Gegenwartsgesellschaft nach einem zeitgemäßen Mitgliedschaftsverständnis, das die fortwährenden Transformations- und Individualisierungsprozesse ebenso verarbeitet wie das Migrationsgeschehen. Diese Leitfrage steht im Zentrum einer im Rahmen des Projekts geplanten wissenschaftlichen Monographie zum gewandelten Selbstverständnis des deutschen Migrationsrechts sowie den fortlaufenden publizistischen Interventionen zu aktuellen Themen, die wir vor allem während der intensiven Forschungszeit vorantreiben wollen.
Inhaltlich beruht das Projekt auf zwei Forschungskomponenten. Die Projektlinie „Verfassung und Zusammenhalt“ nimmt ihren Ausgang in der Beobachtung, dass das Grundgesetz in den öffentlichen Integrationsdebatten häufig als Grundlage des Zusammenhalts beschworen wird. Diese Praxis erzeugt eine diskursive Eigendynamik, die die Rechtswissenschaft vor die Frage stellt, welche Rolle die Verfassung für die gesellschaftliche Selbstverständigung spielen kann und wie das Verfassungsrecht diesen Wandel verarbeitet. Die Ausgangshypothese lautet, dass Antworten auf konkrete Fragestellungen nicht auf den Verfassungs- bzw. den Zusammenhaltsbegriff ausgelagert werden können, sondern im politischen Prozess sowie dem öffentlichen Diskurs zu konkretisieren sind. Die Projektlinie „Migration und Zusammenhalt“ konzentriert sich auf migrationsbezogene Fragestellungen, die verschiedene Teilprojekte am Standort Konstanz bearbeiten. Sie verfolgt das Ziel, das Migrationsgeschehen als Bestandteil umfassender gesellschaftlicher Transformationsprozesse zu konzipieren. Dies stärkt die Migrationsforschung innerhalb des FGZ und integriert diese zugleich in den größeren Forschungskontext. Ein Defizit der jüngeren öffentlichen Debatte zu „Migration und Zusammenhalt“ besteht darin, den Themenkomplex des Zusammenhalts auf Migrationsphänomene enggeführt und hierbei die Fluchtmigration überbetont zu haben. Diese Engführung führt bisweilen dazu, dass Migration beziehungsweise Flucht in öffentlichen Diskussionen als zentrale Variable erscheinen, um gesellschaftliche Veränderungen zu erklären. Es ist ein Vorzug des FGZ-Konsortiums, dieser Engführung entgegenzutreten. Innerhalb der größeren Betrachtung möchten wir gemeinsam mit Konstanzer Projekten und anderen Standorten die relative Bedeutung der Migration thematisieren, ohne so zu tun, als ob Migration der zentrale Hebel für einen besseren Zusammenhalt sei.
Im öffentlichen Diskurs werden „Verfassung und Zusammenhalt“ häufig gleichgesetzt, wenn das Grundgesetz zur vermeintlich unverrückbaren Grundlage des Zusammenhalts erhoben wird. Es lohnt daher, die Rolle der Verfassung als eigenen Forschungsgegenstand zu diskutieren und den Zugriff des Rechts auf zentrale Gegenwartsfragen zu thematisieren (Balkin 2011). Diesen Zweck verfolgen die insgesamt vier Verfassungssymposien beziehungsweise -workshops, mit denen der Standort Konstanz einen grundlagenorientierten Theoriediskurs mit anderen Teilinstituten sowie externen Forschenden anstoßen möchte, um auf einer mittleren Abstraktionsebene aufzuzeigen, dass über den Umweg des Verfassungsrechts der Zusammenhaltsbegriff nur auf einer hohen Abstraktionshöhe konkretisiert werden kann (Vorländer 2002). Die Ausgangshypothese lautet, dass Antworten auf konkrete Fragestellungen nicht auf den Verfassungs- beziehungsweise den Zusammenhaltsbegriffs ausgelagert werden können, sondern im politischen Prozess sowie dem öffentlichen Diskurs zu konkretisieren sind.
Mit Blick auf „Migration und Zusammenhalt“ besteht ein Defizit der jüngeren öffentlichen Debatte darin, den Themenkomplex des Zusammenhalts auf Migrationsphänomene enggeführt und hierbei die Fluchtmigration überbetont zu haben. Diese Engführung führt bisweilen dazu, dass Migration beziehungsweise Flucht in öffentlichen Diskussionen als zentrale Variable erscheinen, um gesellschaftliche Veränderungen zu erklären. Es ist ein Vorzug des FGZ-Konsortiums, dieser Engführung entgegenzutreten. Innerhalb der größeren Betrachtung möchte der Antragsteller gemeinsam mit Konstanzer Projekten und anderen Standorten die relative Bedeutung der Migration thematisieren, ohne so zu tun, als ob Migration der zentrale Hebel für einen besseren Zusammenhalt sei. Anknüpfungspunkte hierfür sind die Debatten über sozialstaatliche Umverteilung (Abraham 2014) sowie Gleichheit und Nichtdiskriminierung (Gotanda 1991; Augsberg 2019).
Die wissenschaftliche Monographie zum gewandelten Selbstverständnis des deutschen Migrationsrechts dient als Rückgrat der Einzelforschung des Antragstellers und wird durch öffentlichkeitswirksame Interventionen zu aktuellen Fragen ergänzt. Sie folgen der Leitfrage, inwiefern sich dem deutschen und europäischen Migrations- und Verfassungsrecht ein modifiziertes Mitgliedschaftsverständnis entnehmen lässt.
Abraham, David 2014: Immigrant Integration and Social Solidarity in a Time of Crisis. Europe and the United States in a Postwelfare State, in: Critical Historical Studies 1, 215-253.
Augsberg, Steffen 2019: Gleichheit angesichts von Vielfalt als Gegenstand des philosophischen und des juristischen Diskurses, in: Veröffentlichungen der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer 78, 7-52.
Balkin, Jack M. 2011: Constitutional Redemption. Political Faith in an Unjust World, Harvard.
Gotanda, Neil 1991: A Critique of ‘Our Constitution Is Color Blind’, in: Stanford Law Review 44, 1-68.
Vorländer, Hans (Hrsg.) 2002: Integration durch Verfassung, Wiesbaden.