Bildungswege

Integrationsprozesse durch Bildung – Möglichkeiten, Perspektiven, Schnittstellen

Die Veranstaltungstage „Bildungswege“ setzen an der Schnittstelle zwischen Bildung und Integration an und beleuchtet hier die Komplexität der beruflichen Wege, die Migrant*innen aus unterschiedlichsten Gründen offenstehen oder versperrt bleiben. Mit der Veranstaltungsreihe perspektivieren wir die unterschiedlichen, aktuellen Strukturen und Angebote im Landkreis unter Berücksichtigung aller Beteiligten. Mit den Schwerpunkten Schule und Alltag (Tag 1), Ausbildung und Berufsschule (Tag 2) und Arbeit und Hochschule (Tag 3) wird deutlich, wo und wie wir Potenziale einer vielseitigen Gesellschaft sehen. Durch den Austausch und die Vernetzung aller Akteur*innen in diesen Feldern lässt sich aufzeigen, dass neben Handlungsbedarf auch wesentliche Handlungsfähigkeiten vorhanden sein müssen, die es gemeinsam noch weiter auszubauen gilt.

Aus den eigenen Forschungsprojekten der Organisatorinnen im Bereich Integration und Verwaltung (Dr. Kathrin Leipold) und Integration und Arbeit (Beatrice Salamena) entstehen mit weiteren Praxispartnern die Fragen:


Wie lässt sich Zusammenarbeit an der Schnittstelle Bildung und Zuwanderung fördern? Wie gestalten sich Perspektiven auf und Potenziale rund um das Thema Bildung und Migration?

Dabei wird deutlich, wie zentral der Austausch und die Vernetzung unter den einzelnen Akteur*innen ist, um Potenziale, Bedürfnisse und Mängel zu erkennen und sinnvoll auffangen zu können. Die „Bildungswege“ sind zum einen – aus Perspektive des Bereichs Integration und Verwaltung – als prototypischer Durchlauf eines Fortbildungsmoduls (Modul III: Strukturen und Auftrag/Bündnisse und Schnittstellenarbeit) angelegt. Gleichzeitig wird in den „Bildungswegen“ der Transferaspekt der Wissenschaft großgeschrieben und es profitieren alle Seiten von den geteilten Einblicken der jeweiligen Expertisen und Erfahrungen.

Bildungswege als Transfer

Für die Bildungswege steht vor allem der Austausch und das Netzwerken, eben Schnittstellenarbeit, zwischen Praxis, Wissenschaft und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen im Mittelpunkt.
Wir verstehen die Bildungswege daher als Intervention, als Bildungsmoment, in dem Synergien und gemeinsame Bearbeitung von Problemfeldern befördert werden.

Die Teilnehmer*innen: aufmerksam, engagiert, wohlwollend! Die Referent*innen: konkret, kritisch, ermutigend
Rückmeldung einer teilnehmenden Person

Vergangene Veranstaltungstermine

Teil 1: Schule/Alltag

Wie lässt sich Zusammenarbeit an der Schnittstelle Bildung und Zuwanderung fördern? Wie gestalten sich Perspektiven auf und Potenziale rund um das Thema Bildung und Migration?

Teil 2: Berufsschule/Ausbildung

Wie lässt sich Zusammenarbeit an der Schnittstelle Bildung und Zuwanderung fördern? Wie gestalten sich Perspektiven auf und Potenziale rund um das Thema Bildung und Migration?

Tag 3: Hochschule/Arbeit

Welche zukunftsweisenden Konzepte werden im Bereich Migration und Hochschule erprobt, umgesetzt und diskutiert? Welche unsichtbaren Barrieren existieren und welche Probleme werden im Bereich Arbeit sichtbar? Wie erkennt man rassistische Handlungen, wie kann man diesen entgegenwirken?

Berichterstattung und Interviews

Manfred Hensler, Abendgymnasium Konstanz: „Wir müssen diese Menschen als Chance begreifen, und wenn wir das tun, dann müssen wir aber auch diese Schnittstellen ganz anders auflegen“

Bildungswege: Wer könnte sich damit besser auskennen als Manfred Hensler? Der pensionierte und nach wie vor passionierte Lehrer und Schuldirektor führte 23 Jahre lang die Robert Gerwig Schule in Singen, hatte davon für die Dauer von neun Jahren zugleich geschäftsführende Leitung der beruflichen Schulen im Landkreis inne und ist noch über seine Rente hinaus als Leiter des Abendgymnasiums in Radolfzell tätig. Außerdem ist der vielseitig aktive Pädagoge im erweiterten Vorstand des Vereins „InSi e.V.“ („Integration in Singen“) und Mitglied des Konstanzer Beratungsgremiums „Internationales Forum“.

Kein Wunder also, dass Manfred Hensler zum Thema bzw. den Themen der dreitätigen Veranstaltung besonders viel zu sagen hat: So war er nicht nur Mitglied der Vorbereitungskommission der „Bildungswege“, sondern beteiligte sich an Tag eins gemeinsam mit Birgit Ruf zugleich als Vortragender und war als einfacher Teilnehmer anwesend.

Feedback zur Veranstaltung

Sein Feedback zu den „Bildungswegen“? Schade sei gewesen, dass die „hochaktuellen Themen“, um die es durchweg gegangen sei, nicht noch mehr Teilnehmende angezogen hätten: „Es waren interessante und wichtige Leute da, aber nach meiner Einschätzung hätten alle drei Tage mehr Publikum verdient gehabt“, so Hensler. Doch nennt er auch einige Aspekte, die sich sehr positiv auf die Veranstaltungsreihe auswirkten: Zum einen sei der Rahmen sehr gut gewesen, von der Bewirtung bis hin zum Vorhandensein und der Funktionstüchtigkeit diverser Mediengeräte passte alles. Zum anderen hätten vor allem die Moderatorinnen der Veranstaltung, Dr. Kathrin Leipold und Beatrice Salamena, sehr gute Arbeit geleistet: sie seien sehr kompetent und feinfühlig aufgetreten und hätten sich nie in den Vordergrund gespielt, stattdessen den Expert*innen das Wort überlassen. Die durch die beiden auf den Weg gebrachte Nachbereitung und das damit verbundene Einholen von Feedback schätzt Manfred Hensler als hochprofessionell und vorbildlich ein.

VKL, VABO, VABO-E – kryptische Kürzel, die Wellen schlagen

Besonders den ersten Vortrag am Tag eins der Veranstaltung fand er, ebenso wie Veronika Schäfer, inspirierend: die schulische Aufwertung der (nicht-deutschen) Muttersprache hält Hensler wie auch die Vortragende für richtig und wichtig. Doch worum ging es genau in dem durch ihn und die Lehrerin Birgit Ruf gestalteten Beitrag? Dessen Titel, „Erfahrungen und Visionen für Übergänge an weiterführenden Schulen, Ausbildung oder Arbeit“, spricht für sich. Birgit Rufs Hauptanliegen waren dabei die sogenannten „VKL“, also „Vorbereitungsklassen“, welche zum Ziel haben, Schüler*innen mit nicht-deutscher Muttersprache – das heißt, vielfach mit Migrationshintergrund – an allgemeinbildenden Schulen auf den dortigen Regelunterricht vorzubereiten. Ihre Kritik: Der Übergang von den VKL, in denen sie selbst tätig ist, in den Regelunterricht gelinge vielfach nicht. Gründe dafür seien unter anderem fehlende Ressourcen: so könne eine angemessene Begleitung und Unterstützung einzelner Schüler*innen nicht gewährleistet werden.

Manfred Hensler konzentrierte sich im Vortrag auf einen weiteren „Integrations-Baustein“ des baden-württembergischen Schulsystems, die VABO- bzw. VABO-E-Klassen. „VABO“ steht für „Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf mit Schwerpunkt Erwerb von Deutschkenntnissen“. Es soll Jugendlichen mit Migrationsgeschichte an beruflichen Schulen ermöglichen, innerhalb eines Jahres das Sprachniveau A2 in Deutsch zu erreichen. VABO-E-Klassen hingegen richten sich an Erwachsene mit Migrationsgeschichte, die außerhalb des regulären Schulsystems innerhalb eines Jahres einen deutschen Hauptschulabschluss nachholen möchten. Mit VABO und VABO-E sollen jugendliche und erwachsene Geflüchtete also in kürzester Zeit fit für den deutschen Ausbildungs- bzw. Arbeitsmarkt gemacht werden.

An sich scheint das eine gute Idee, die das Potenzial birgt, im Ergebnis zu einer Win-win-Situation zu führen. So hat auch Manfred Hensler während seiner Tätigkeit als Sprecher der beruflichen Schulen im Landkreis Konstanz flächendeckend VABO-Klassen eingeführt. Doch zeigt die Erfahrung des Lehrers und Schulleiters, dass das Konzept in vieler Hinsicht noch nicht perfekt ist und Verbesserung bedarf. Vor allem junge Frauen seien oft damit konfrontiert, dass ihr im Rahmen der VABO-E- Klasse erlangte Hauptschulabschluss nicht ausreicht, um den Bildungsweg ihrer Wahl zu beschreiten: für die Zulassung zu vielen Ausbildungen ist ein Realschulabschluss zwingende Voraussetzung. Als Konsequenz bewirbt Hensler als „fehlendes Glied in der Kette“ eine sogenannte „VABO-M“-Klasse, also ein Vorqualifizierungsjahr mit dem Ziel des Erwerbs der mittleren Reife. Zwar ist das Konzept schon ausgearbeitet, doch bemühen sich Hensler und seine Mitstreiter*innen aktuell noch um die Zulassung bzw. Finanzierung.

Ein weiteres Problem ist in den Augen des pensionierten Schulleiters, dass es 40-50% der Schüler*innen der VABO-Klassen jedes Jahr nicht gelingt, das Sprachniveau A2 zu erreichen. In solchen fällen ist die Regel, dass die betroffenen Personen das Schuljahr wiederholen. Aus der Außenperspektive scheint das zunächst kein großes Problem zu sein. Doch entstehe so in der Wahrnehmung der jungen Menschen das Gefühl einer ständigen Niederlage, welches dem Lernfortschritt im Wege stehe. Viel sinnvoller sei es, so Hensler, als Alternative zu der einjährigen VABO-Klasse zusätzlich ein zweijähriges Programm anzubieten: dieses würde die Lerninhalte auf ein weiteres Jahr strecken und sich mittels eines erhöhten Praxisanteils stärker an die Situation der Schüler*innen, deren Schwierigkeit häufig die das Lernen der Theorie ist, anpassen. Und, ein Zwischenerfolg: Nach langem und intensivem Engagement wurde das Konzept schließlich seitens der Schulaufsichtsbehörde zugelassen; ab 2023 können tatsächlich zweijährige VABO-Klassen angeboten werden.

Gedämpft wird die Freude über diese Errungenschaft leider durch den traurigen Umstand, dass 2022 im Landkreis Konstanz keine VABO-Klasse zustande kam. Den Grund hierfür sieht Hensler jedoch keinesfalls in der potentiellen Attraktivität des VABO-Konzepts, sondern vielmehr bei den Job- und Beratungscentern: Dort sei die Investitionsbereitschaft – „VABO“ ist teuer – oft nicht in ausreichendem Maß vorhanden und es herrsche stattdessen die Mentalität vor, dass „die Leute halt arbeiten sollen“. Wolle man aktiv zu einer gelingenden Integration der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland beitragen und außerdem der aktuellen Situation des Fachkräftemangels begegnen, sei eine solche Haltung kurzsichtig und ergebe kaum Sinn. Dazu äußert sich Manfred Hensler ganz konkret:

Die Diskussion [ist] wieder heftiger angesichts der hohen Zahlen von geflüchteten Menschen: können wir das leisten, können wir diese Menschen integrieren, werden wir hier scheitern, schaffen wir das, schaffen wir das nicht – ich denke, und da bin ich nicht allein: wir müssen diese Menschen als Chance begreifen, und wenn wir das tun, dann müssen wir aber auch diese Schnittstellen ganz anders auflegen, dann müssen wir – wenn wir das Thema Fachkräftemangel auf der anderen Seite hier sehen – noch sehr viel mehr Anstrengungen hier bringen, um diese Übergänge klarer zu gestalten, ja. Wir schaffen das, wenn uns die Integration in den Arbeits- und Ausbildungsmarkt gelingt, ganz einfach. Wenn uns das nicht gelingt, dann schaffen wir das auch nicht. Das ist die ganz schlichte Wahrheit, die man auch noch sehr viel stärker realisieren müsste in der Politik.

Wie kann es weitergehen?

Doch zurück von den praktischen Bildungswegen hin zur gleichnamigen, dreitätigen Veranstaltung. Nun, nach deren offiziellem Ende, stellt sich die Frage: Wie könnte eine mögliche Fortsetzung aussehen, bzw. wie verlaufen wichtige Ergebnisse nicht im Sande? Manfred Hensler hat hier ein paar sehr konkrete Ideen.

So referiert er auf die sogenannten „Fachkräfteallianzen“, die in einigen Landkreisen Baden-Württembergs existieren. „Eine Fachkräfteallianz heißt, dass sich die maßgeblichen Akteure an dieser Schnittstelle, ich sage jetzt mal: Schule und Ausbildung, im Grunde Gedanken machen: Wie kann man diese Schnittstelle verbessern?“ erklärt der pensionierte Schulleiter. Auch der Landkreis Konstanz verfügte über diese Instanz; doch wurde sie vor einigen Jahren aus Kostengründen eingestampft. Das sei insbesondere deshalb schade, weil eine „Fachkräfteallianz“ das Potenzial birgt, Lösungsansätze für zahlreiche Probleme wie beispielsweise den aktuell gravierenden Mangel an Auszubildenden in allen Bereichen zu entwickeln. Aus Henslers Perspektive orientierte sich die dreitätige Veranstaltung „Bildungswege“, was Themen und auch die versammelten Akteur*innen betrifft, in eine sehr ähnliche Richtung wie die frühere Konstanzer Fachkräfteallianz. Könnten die Bildungswege womöglich langfristig deren Erbe antreten? Um sich tatsächlich als Nachfolgeprojekt verstehen zu können, bräuchte es allerdings, so Manfred Hensler, noch mehr „Stoßkraft“: das heißt, vor allem mehr Interesse und Beteiligung seitens der Politik. So könnten Projektideen, die im Rahmen einer Veranstaltung wie der der Bildungswege entwickelt würden, möglicherweise eine größere Wirksamkeit entfalten, die entstandenen Visionen mehr politische Beachtung finden. Zwar wären auch bei der vergangenen Veranstaltung politische Akteur*innen im Rahmen einer Podiumsdiskussion am dritten Tag durchaus beteiligt gewesen; allerdings müsste diese Beteiligung noch ausgeweitet werden, um sicherstellen zu können, dass inhaltliche Ergebnisse auch tatsächliche politische Tragkraft entfalten.

Weitere Zutaten, die laut Hensler für die Fortsetzung der Bildungswege als Fachkräfteallianz förderlich bis unabdingbar wären, sind eine gewisse Regelmäßigkeit der Veranstaltungen bzw. Zusammenkünfte von Akteur*innen sowie, falls möglich, externes Sponsoring. Letzteres würde gewährleisten, dass die theoretisch mögliche Umsetzung konkreter Projektvorschläge, die im Zuge der Treffen aufkommen, von vorneherein abgesichert wäre.

Alles in allem wird deutlich, dass der Manfred Hensler in der Veranstaltungsreihe der Bildungswege vor allem eines wahrnimmt: sehr viel Potenzial. Diese Rückmeldung von jemandem, der so viel Erfahrung in diversen Schnittstellen-Bereichen mitbringt, ist natürlich äußerst vielversprechend.

Dr. Isabel Dean, Universität Siegen: „Es ist immer eine Gratwanderung“

Wie kann Mehrsprachigkeit im (Berufs-)schulalltag gelingen? In ihrem Vortrag „Zwischen Sprachverboten und Anerkennung: Zum Umgang mit Mehrsprachigkeit im schulischen Kontext“ versucht Erziehungswissenschaftlerin Dr. Isabel Dean von der Universität Siegen, darauf eine Antwort zu finden - und leitet damit zugleich in einen spannenden zweiten Teil der Veranstaltungsreihe „Bildungswege“ ein.

Normsprache Deutsch in mehrsprachigen Schulen

Dass es in Deutschland Menschen gibt, die mit einer anderen Muttersprache als der Deutschen aufwachsen, ist nichts Neues. Daher scheint es überraschend, dass diese Mehrsprachigkeit vielfach noch nicht in deutschen Schulen angekommen ist: so zumindest die These der Studie „Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule“, erschienen in Neuauflage 2008. In ihrem Buch stellt Autorin Ingrid Gogolin ein Missverhältnis zwischen der Realität von Schüler*innen, die mehr als eine Sprache sprechen, und dem Selbstverständnis deutscher Schulen, deren alleinige Unterrichtssprache in der Regel Deutsch ist, fest, das sich nicht unbedingt förderlich auf den Erfolg des Unterrichts auswirkt. Und auch heute noch treffen Gogolins Befunde auf viele deutsche Bildungseinrichtungen zu, wie Dr. Isabel Dean (Universität Siegen) im Rahmen ihrer eigenen ethnographischen Arbeit beobachten konnte. Während es einerseits Beispiele von Schulen gibt, die einen alternativen Umgang mit der vorhandenen Sprachvielfalt gefunden haben, berichtet Dr. Dean andererseits auch von Fällen, in denen man Deutsch als Normsprache trotz der sprachlichen Diversität der Schüler*innen nach wie vor nicht in Frage stellt.

Sprache und Macht

Die Unterscheidung zwischen einer „Normsprache“ (Deutsch) und „anderen Sprachen“ kann sprachbezogene Diskriminierung zur Folge haben. Doch gibt es sowohl innerhalb des Deutschen als auch die verschiedenen „anderen Sprachen“ betreffend ebenfalls Unterscheidungen, die ein Machtgefälle begünstigen. Beispielsweise spricht man dem Hochdeutschen gegenüber deutschen Dialekten generell eine höhere Wertigkeit zu: Es gilt, die offizielle Sprache zusätzlich in der offiziell anerkannten Weise (Hochdeutsch) zu sprechen. Darüber hinaus wird Mehrsprachigkeit in bestimmten, zumeist westeuropäischen Sprachen wie Englisch oder Französisch oft weniger kritisch beäugt als eine solche in anderen, östlich von Europa gelagerten Sprachen wie Türkisch oder Arabisch. Innerhalb eines bestimmten Kontextes ist die dominante Sprechweise das Ergebnis verschiedener, einander überlagernder Selektionsmechanismen. Die Folge: Nicht-Deutsch-Muttersprachler*innen haben es in Schulen, in denen Deutsch als einzige Unterrichtssprache vorausgesetzt wird, sehr schwer.

Einsprachigkeit vs. Mehrsprachigkeit

Warum wird dann an manchen Schulen noch so viel Wert auf die ausschließliche Verwendung der deutschen Sprache gelegt? Ein Grund dafür ist die Befürchtung, dass Kinder und Jugendliche, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, die Sprache nie vollständig erlernen, wenn man ihnen die Wahl lässt. „Ich habe erlebt: Wenn die Schüler zu lange bei ihrer Muttersprache bleiben, schaffen sie den Sprung nicht, ins Deutsche zu kommen“, bringt sich eine Schulsozialarbeiterin aus dem Publikum ein. Dem entgegnen anwesende Schüler*innen mit Migrationsgeschichte: Das Problem sei vielmehr, dass man sich außerhalb des Unterrichts isoliert und Gruppen von Schüler*innen unterschiedlicher Muttersprachen wenig miteinander in Kontakt kommen. So wird seitens einer anwesenden Auszubildenden die Forderung an Deutsch-Muttersprachler*innen laut: „Einfach mit die Mitschüler sprechen und kein Theater machen!“.

Ein weiterer Grund für die Dominanz des Deutschen in Schulen ist die Annahme, dass das Erlernen eines Inhaltes in mehreren Sprachen zu Verwirrung führt und letztlich nicht gelingen kann. In Widerspruch dazu lässt sich die sogenannte „Interdependenztheorie“ (Cummins 1981) verstehen: Sie besagt, dass verschiedene Sprachen, die ein Mensch spricht, zwangsläufig miteinander verwoben sind. Transfereffekte zwischen zwei Sprachen könnten sich sogar positiv auf den Lerneffekt auswirken. So zitiert Dr. Isabel Dean eine in mehrsprachigen Kontexten arbeitende Lehrerin, deren Erfahrung zeigt: „Sprechen ist wichtig, egal in welcher Sprache.“

Schließlich ist es wohl auch die Angst vor Kontrollverlust gegenüber der Klasse, die Lehrer*innen dazu bewegt, auf Deutsch als alleiniger Unterrichtssprache zu bestehen. Hinzu kommt, dass, je mehr unterschiedliche Sprachen innerhalb eines Klassenverbandes gesprochen werden, desto weniger gegenseitiges Verständnis überhaupt möglich ist. Was also tun?

Gibt es eine Lösung?

Die große Frage ist: Wie kann schulische Mehrsprachigkeit anerkannt werden, ohne Sprachverbote auszudrücken? „Es ist immer eine Gratwanderung“, stellt eine im bilingualen Bereich arbeitende Lehrerin aus dem Publikum fest. Und zeigt damit auf, was auch der Vortrag letztlich folgert: Die eine, perfekte Herangehensweise an Mehrsprachigkeit in Schulen gibt es nicht. Stattdessen ist es Aufgabe der Lehrer*innen, ihre Methoden und Formate beständig an die Bedürfnisse der Schüler*innen anzupassen: Einerseits die Kommunikation untereinander auch im Falle unterschiedlicher Muttersprachen zu ermöglichen. Andererseits jedoch auch nicht zu verhindern, dass junge Menschen Selbstwirksamkeitserfahrungen machen, die vielleicht zunächst einer anderen Sprache als der Deutschen bedürfen.

Als gutes Beispiel für eine entsprechend flexible Herangehensweise kann der Vortrag Dr. Isabel Deans selbst gewertet werden. Die Veranstaltung „Bildungswege“ richtet sich an sein sehr diverses Publikum, das in dieser Vielfältigkeit am 30. Juni 2022 anwesend ist: Neben im Bereich Mehrsprachigkeit und Integration arbeitenden Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen und anderen „am Menschen“ tätigen Personen versammelt der Anlass auch Forschende aus den Sozial- und Erziehungswissenschaften ebenso wie (Berufs-)schüler*innen mit und ohne Migrationsgeschichte. Zwar ist der Vortrag selbst eher bildungssprachlich gehalten und also nicht auf alle Zielgruppen zugleich ausgerichtet. Diese mögliche Verständnishürde wird jedoch mittels einer teilweisen Übersetzung in einfache Sprache durch eine Berufsschullehrerin einerseits sowie einer grundsätzlichen Offenheit für Verständnisfragen und Austausch andererseits überwunden. Das bewusste Miteinbeziehen des Publikums in Form einer Zwischen- und Abschlussdiskussion ermöglicht allen Anwesenden eine aktive Teilhabe, wovon rege profitiert wird. Einmal mehr zeigt sich, dass „Bildungswege“ keine Einbahnstraßen sind: Wir können alle noch viel voneinander lernen.

- Von Eva Günther

Veronika Schäfer, AWO Singen: „Mal eine Abwechslung zu diesen starren Inputs“

Veronika Schäfer arbeitet für das „Netzwerk Bleiben mit Arbeit“ der AWO Singen. Sie war bei allen drei Veranstaltungsterminen der „Bildungswege“ mit dabei und zieht rückblickend ein positives Fazit

Die „Bildungswege“ mit den drei Schwerpunkten „Schule/Alltag“ (19.05.2022), „Berufsschule/Ausbildung“ (30.06.2022) und Hochschule/Arbeit (21.07.2022) hatten zum Ziel, Akteur*innen aus ganz unterschiedlichen Bereichen zu versammeln und dergestalt deren Austausch und „Voneinander-lernen“ zu befördern. Veronika Schäfer ist eine solche Akteurin: Teil ihrer Arbeit bei der AWO Singen ist es, Geflüchtete und Asylsuchende individuell zu beraten und langfristig in Ausbildung und Beruf zu vermitteln. Als sie über eine Kollegin von der Veranstaltungsreihe erfuhr, war sie sogleich interessiert. Und mehr als das: Zusammen mit Monika Bercea, tätig für die bfz (Berufsfortbildungszentren) Ravensburg, bot sie am dritten Tag auch einen Workshop an. In „Startklar in den Beruf“ besprachen die beiden Frauen mit teilnehmenden Berufsschüler*innen Themen, die für die Vorbereitung auf den Arbeitsalltag von Bedeutung sind. Zentrale Fragen, die der Workshop stellte, waren: „Was verstehe ich unter Selbstverwirklichung?“ und „Wie frei bin ich in der Berufswahl?“. Viele der Berufsschüler mit Migrationsgeschichte treffen ihre Berufsentscheidung nicht auf Grundlage der eigenen Wünsche und Interessen, sondern wählen stattdessen den „Bildungsweg“, der ein langfristiges Aufenthaltsrecht in Deutschland wahrscheinlicher macht. Der daraus potenziell resultieren Frustration versuchten Schäfer und Bercea, im Rahmen ihres Workshops zu begegnen: „Wir haben versucht, zu sagen: Selbst, wenn ihr jetzt nicht zufrieden seid, müsst ihr ja nicht bei dem Beruf bleiben“, erklärt Veronika Schäfer. Das würden die „Biodeutschen“ in vielen Fällen auch nicht: „Man entwickelt sich ja auch weiter“.

Was ihr an der Veranstaltungsreihe besonders gefallen habe? Schäfer stellt fest: „Alle drei Tage waren sehr interessant.“ Vom ersten Tag behält sie persönlich sich vor allem einen Vortrag in Erinnerung, der sich mit den Auswirkungen der ersten Muttersprache bei der weiteren Sprachentwicklung beschäftigte (Helene Khuen-Belasi, LAKA Baden-Württemberg). Selbst mit der russischen Sprache aufgewachsen, traf dieser bei ihr einen Nerv. Der zweite Veranstaltungstag behandelte mit „Wege in die Ausbildung“ das, was die Sozialarbeiterin beruflich tagtäglich beschäftigt. Die Besonderheit des dritten Tages war, nicht mehr nur als Teilnehmerin dabei zu sein, sondern als Workshopleitung selbst aktiv zu werden.

Was man vielleicht hätte besser machen können? Es sei aufgefallen, dass ein ganzer Tag voll spannendem Input etwas viel auf einmal ist: am Nachmittag wäre oft etwas „die Luft raus“ gewesen, Teilnehmende hätten sich nach und nach verabschiedet. Und: Es wäre schön gewesen, wenn noch mehr Schüler*innen teilgenommen hätten – oder die anwesenden Schüler*innen zumindest länger geblieben wären.

Allgemein überwiegt bei Schäfer die positive Rückmeldung. So freute es sie, sich nach der langen Corona-Pause wieder zu treffen: und zwar „querbeet“, was die Einzigkeit der Veranstaltung ausmachte. Zwar gäbe es seitens der AWO und anderer sozialer Träger Veranstaltungen mit ähnlichen Themen und ebenfalls breitem Zielpublikum. Die Bereicherung der „Bildungswege“-Reihe sei jedoch gewesen, dass zusätzlich die Universität mit „im Boot“ war und also auch akademische Perspektiven geteilt wurden.

Sowohl der inhaltliche Aufbau der „Bildungswege“ als auch deren Örtlichkeit – die Mettnau-Schule in Radolfzell – überzeugten Veronika Schäfer: „Der Standort ist ja mal super gewählt“, stellt sie fest, denn: „das Umfeld hat es hergegeben, dass man ein bisschen freier ist“. Bei der Veranstaltung habe sie sich jederzeit „total wohlgefühlt“, so Schäfer. Und resümiert: „Ich fand die Veranstaltung total gelungen, von vorne bis hinten“.

- Von Eva Günther

Zusammenbringen von Akteur*innen aus ganz verschiedenen Bereichen
Rückmeldung einer teilnehmenden Person

Dank

Wir möchten uns herzlich für die Gastfreundschaft der Mettnau-Schule Radolfzell bedanken, die uns großzügig bei der Umsetzung der Veranstaltung unterstützt hat. Darüber hinaus möchten wir uns ganz besonders beim Klassenlehrer Robert Reichel und seinen Schüler*innen für ihre rege Teilnahme und ihre Beiträge bedanken, insbesondere bei Sergio Soatra (Altenpflege Azubi), da er uns auf dem Abschlusspodium unterstützt hat.

Ein großes Dankeschön geht an die Gruppe des Vorbereitungs-Arbeitstreffens, die bei der Konzipierung und Gestaltung des Programms mitgewirkt haben: Baris Abak, Monika Bercea, Margarete Brugger, Manfred Hensler, Linda Kelmendi, Dr. Elisabeth Maué, Bettina Müller, Veronika Schäfer sowie Jan Vollmar.

Selbstverständlich richtet sich unser Dank auch an alle Referent*innen und Teilnehmer*innen, die die Bildungswege letztlich ermöglicht haben.
haben.

Praxispartnerschaften

Intern

Dr. phil. in Erziehungswissenschaften, Elisabeth Maué, Universität Konstanz

Dr. Eva Dade und Ramona Baumgartner von der "European Reform University Alliance" (ERUA), Universität Konstanz

Dr. Sandrine Gukelberger, FGZ, Universität Konstanz

Dr. Sibylle Röth, Universität Konstanz / DIE.LINKE

Extern

Monika Bercea, bfz gGmbH (PL: Netzwerk Bleiben mit Arbeit)

Veronika Ellert, Welcome-Integrationsmanagerin Singen

Manfred Hensler

Mettnau-Schule Radolfzell, Schulleiter Matthias Libruks

Jan Vollmar, IHK

Baris Abak, Handwerkskammer 

Birgit Ruf, VKL-Lehrerin Konstanz

Helen Khuen-Belasi, LAKA BW

Karim El-Helaifi, Neue Deutsche Organisationen

So ging es weiter

27.04. 2023          

Bildungswege-Nachtreffen"Wie finde ich meinen Platz? Einblicke, Analysen und Überblicke zu Bildungseinstieg und -übergänge bei jungen Zugewanderten und deren Beratung"

Am 27. April 2023 treffen sich die Teilnehmer*innen und einige Referent*innen wieder! Das Nachtreffen findet in Kooperation mit dem Landratsamt Konstanz stattund widmet sich dem Thema Beratungsstrukturen im Bildungsbereich. 

Wir wollen uns in Form eines niedrigschwelligen Austausches mit verschiedenen Akteur*innen aus der Integrationsarbeit damit beschäftigen, wie man Bildungseinstiege und -übergänge gestalten kann - um so soziale Schieflagen aufzufangen. Hier schließen sich die Fragen an: Welche Rolle spielen Faktoren sozialer Ungleichheiten in den Bildungsübergängen? Was benötigen Schüler*innen, u.a. aus berufsvorbereitenden Klassen, um sich bestmöglich im Bildungssystem zurecht zu finden (Coaching, Beratung)? Wie können sie durch Beratungsangebote unterstützt werden so dass Bildungsabbrüche vorgebeugt werden?

Ziel ist es, gemeinsam institutionelle und strukturelle Ankerpunkte der Bildungsberatung in den Blick zu nehmen und zu erarbeiten, wie in der Region kurz-, mittel- und langfristige Strategien zur Optimierung dieser Strukturen aussehen können. In diesem Rahmen hoffen wir ebenfalls auf eine Verstetigung des "Bildungswege" Format auf Landkreisebene und freuen uns sehr, mit Ihnen und Euch das Thema Bildung und Migration weiter in den Fokus unserer Arbeit zu stellen. 

17.11.2022

Kostenfreier Online-Workshop: "Ressourcenstärkende Interventionen für geflüchtete und belastete Kinder",  17:00 - 19:00 Uhr

Der anhaltende Zuzug von Geflüchteten ist für die Integrationspraxis in Deutschland eine Herausforderung. Vor allem Kinder und Jugendliche sind stark belastet und leiden häufig jahrelang unter den Folgen von Krieg, Verfolgung und Flucht. Die diesjährigen Aktivitäten im Rahmen des bundesweiten Vorlesetages am 18. November 2022 möchten wir nutzen, um das wichtige Thema Bildung, Lesen und Flucht aufzugreifen.

Referentin ist Fr. Dr. Johanna Graf, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Tübingen. Sie wird im Workshop Ideen und Anregungen vermitteln, wie man spielerisch Ressourcen und Stärken in der Arbeit mit belasteten Kindern fördert und ihnen damit hilft adaptiv mit Belastungen umzugehen. Zusätzlich wird sie das Kinderbuch “Wir haben etwas unglaublich Großes geschafft” vorstellen. Das Kinderbuch ist auf Deutsch in Kombination mit den verschiedenen Sprachen Arabisch, Dari/Persisch, Englisch, Kurdisch (Kurmanci), Ukrainisch und Russisch erschienen. Weitere Materialien, die in der Arbeit mit geflüchteten und nicht geflüchteten Kindern zur Stärkung von Ressourcen kreativ eingesetzt werden können, werden von Fr. Dr. Graf ebenfalls besprochen. Am Anfang des Workshops wird Fr. Dr. Graf eine theoretische Einführung zum Thema und zur Erkennung von Belastungen und einhergehenden körperlichen und psychischen Symptomen bei betroffenen Kindern und Jugendlichen gegeben.

Interesse? Bitte melden Sie sich mit dem Betreff „Bildung-Lesen-Flucht“ hier an.

Wir freuen uns auf Ihr Kommen!