Kirsten Mahlke kann Transferprojekt „Death Notification with Responsibility“ beginnen

Der Europäische Forschungsrat ERC hat der Kulturwissenschaftlerin Kirsten Mahlke jüngst ein „Proof of Concept“ zugesprochen, mit dem sie ab Juni 2017 zusammen mit Polizeiausbildern einen Blended-Learning-Kurs für Einsatzkräfte entwickeln wird.

Stirbt ein Mensch eines unnatürlichen Todes, muss die Polizei den Hinterbliebenen die Todesnachricht überbringen. Diese Botschaft verändert deren Leben grundlegend und bleibt ihnen lebenslang im Gedächtnis. Die Art und Weise, wie die Nachricht überbracht wird, beeinflusst entscheidend, wie die Betroffenen mit ihrem Verlust umgehen können. Oft werden sie zusätzlich traumatisiert. Die Situation ist jedoch auch für PolizistInnen ein herausfordernder Teil ihrer dienstlichen Pflichten, auf den sie oft nicht ausreichend vorbereitet sind. Der Blended-Learning-Kurs „Death Notification with Responsibility“ soll diese Lücke nun füllen.

Mit dem jüngst vom ERC bewilligten „Proof of Concept“ entwickelt die Konstanzer Kulturwissenschaftlerin Kirsten Mahlke zusammen mit dem Ethik-Professor der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und Polizei NRW Duisburg und dem Landespolizeipräsidium Stuttgart einen Prototypen für einen Blended-Learning-Kurs, mit dem Studierende der Polizei lernen und erproben, verantwortungsvoll Todesnachrichten zu überbringen.

Der Kurs wird verschiedene didaktische Zugänge integrieren, Einheiten für Präsenz- und Gruppenarbeit mit interaktiven E-Learning-Komponenten verschränken, die die PolizistInnen auf diese wichtige Aufgabe angemessen vorbereiten sollen.

„Wie eine Gesellschaft mit ‚ihren Toten‘ umgeht, sagt viel darüber aus, wie sie zu den Lebenden steht. Demokratie und Menschenrechte werden an diesen sozialen Knotenpunkten, an denen sich Staat und Bürger begegnen, in der Praxis erfahrbar. Das Projekt setzt an der Stelle ein, wo sich der kulturelle Umgang mit menschlichem Leid nachhaltig verändern lässt.
Letztendlich geht es nicht nur darum, der Polizei ein Lehrmittel für eine Spezialaufgabe an die Hand zu geben, sondern eine ganze Behörden-Konstellation durch das Umlegen eines kleinen Schalters zu befähigen, den Tod menschlich zu verwalten“, begründet Kirsten Mahlke die Wichtigkeit des Vorhabens.

Prof. Dr. Kirsten Mahlke ist wissenschaftliche Leiterin des Transferprojekts „Death Notification with Responsibility“. Sie lehrt als Professorin für Kulturtheorie und kulturwissenschaftliche Methoden an der Universität Konstanz und ist maßgeblich beteiligte Wissenschaftlerin des Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“ sowie Co-Leiterin des Doktorandenkollegs „Europa in der globalisierten Welt“.
Unterstützt wird sie von Melanie Brand, ehemalige Doktorandin am Doktorandenkolleg „Europa in der globalisierten Welt“, die die wissenschaftliche Koordination übernimmt.

Hintergrund

Das Projekt überträgt Ergebnisse der langjährigen interdisziplinären Forschung Kirsten Mahlkes zu den Folgen des erzwungenen Verschwindenlassens während der Militärdiktatur in Argentinien (ERC starting grant project „Narratives of Terror and Disappearance“) in die Praxis.

In Argentinien leiden bis heute Zehntausende von Angehörigen darunter, dass ihnen die Informationen und die physische Realität des Todes vorenthalten wurden und werden. Das erzwungene Verschwindenlassen diente als Repressionsinstrument zur Demoralisierung des politischen Widerstandes. Dieses „worst case Szenario“ führt zu jahrzehntelang und über Generationen wirksamen Traumatisierungen. Letztere stehen, wie in der Forschung erwiesen, in unmittelbarem Zusammenhang mit der materiellen Un-Fassbarkeit des Todes. Die Ergebnisse sind insofern generalisierbar, als sie unabhängig von politischen Intentionen die Relevanz von Informationen (Wahrheit, Daten, Fakten) und den Körpern der Toten für die Integrierbarkeit des Ereignisses in das Leben der Betroffenen aufzeigen.

Der Europäische Forschungsrat ERC fördert mit dem „Proof of Concept (PoC)“ den Wissenstransfer von Forschungsergebnissen aus ERC-Projekten in gesellschaftliche oder industrielle Anwendungen. Die Förderung beläuft sich auf max. 150.000 Euro. Geisteswissenschaftliche Transferprojekte wurden bislang nur selten bewilligt, für die Universität Konstanz ist es die erste derartige Förderung.