Männlicher (rechts) und weiblicher Schwertträger (links). Bild: Georg Schneider / Universität Würzburg

Schön unpraktisch

Die genetische Basis für die Verlängerung der Schwanzflosse beim Schwertträger wurde in einer langjährigen wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit Beteiligung der Universität Konstanz entschlüsselt. Schon Darwin fragte nach dem Grund für die auffällige Merkmale männlicher Tiere – insbesondere beim Schwertträger

Die Schwanzfedern des Pfaus, das gewaltige Horn männlicher Einhornkäfer, das ausladende Geweih mancher Hirsche: In der Natur finden sich zahlreiche Beispiele für Merkmale, die auf den ersten Blick ihren Besitzern nur Nachteile bringen dürften. Bei der Suche nach den genetischen Grundlagen des Schwerts des „Schwertträgers“ (Xiphophorus hellerii), eines beliebten Aquariumsfisches aus Mexiko, deuten Befunde von Forschern aus Konstanz, Würzburg und den USA jetzt darauf hin, dass ein Gen, das eigentlich im Gehirn für neuronale Prozesse von Bedeutung ist, im Laufe der Evolution eine zusätzliche neuartige Funktion übernommen hat. Der Schwertträger hat seinen Namen von der Verlängerung der Unterseite der Schwanzflosse, die bei einigen Männchen länger als der ganze Körper des Fisches sein kann. Es ist bekannt, dass Weibchen dieser Arten Männchen mit besonders langen Schwertern bevorzugen. Die Ergebnisse dieser Studie sind in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Current Biology nachzulesen. Mitinitiator der Studie ist der Konstanzer Evolutionsbiologe Prof. Dr. Axel Meyer, der seit vielen Jahren mit dem Erstautor Prof. Dr. Manfred Schartl von der Universität Würzburg an Fragen zur Evolution des Schwertes zusammenarbeitet.

Schwertträger als Beispiel für sexuelle Selektion
Mit einem bunten Federkleid ist es schwieriger, sich vor dem Feind zu verstecken, und ein großes Geweih macht die Flucht im Wald nicht einfacher. In der Regel sind es männliche Exemplare, die solche Merkmale tragen. Die Evolution dieser Art Phänomene ist in der Biologie schon seit langem ein herausragendes Thema. Schon Charles Darwin hat sich mit der Frage beschäftigt, wie solch übertriebene, Energie verschlingende und prinzipiell schädliche Strukturen durch natürliche Selektion entstanden sein könnten. Am Beispiel des Schwertträgers hat er die Evolutionslehre um seine Theorie der sexuellen Selektion erweitert. Darwins Grundgedanke dabei: Wenn Weibchen die Träger besonders ausgeprägter Merkmale bei der Fortpflanzung bevorzugen, können sich im Laufe der Evolution auch Merkmale durchsetzen, die bezüglich der natürlichen Selektion eher schädlich für ihre Besitzer sein müssten. Dies trifft auch auf die Schwerter zu, die die Männchen der Schwerträger für Fressfeinde sichtbarer macht. Sie werden tatsächlich auch häufiger gefressen, weil das Schwert das Schwimmen langsamer macht.

Seit über zwei Jahrzehnten haben die Labore der Universitäten Konstanz und Würzburg gemeinsam nach der genetischen Basis des Schwertes geforscht. Beteiligt an der aktuellen Studie ist auch das Labor von Professor John Postlethwait an der University of Oregon in den USA. Die Untersuchungsergebnisse haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun einen großen Schritt dem Ziel näher gebracht zu verstehen, auf welcher genetischen Grundlage die verlängerte Schwanzflosse der Schwertträger beruht. Auf der Suche danach wurden nun einige Gene identifiziert, die bei diesen Fischen für die Ausbildung des Schwerts verantwortlich sind.

Schwert mit Vor- und Nachteilen
Bei mehreren Arten der Gattung Xiphophorus hellerii tragen die Männchen ein sogenanntes Schwert, eine auffällige Verlängerung der Unterseite der Schwanzflosse, die gelb, orange oder rot gefärbt und von einem dunklen schwarzen Rand umgeben ist. Das Schwert entwickelt sich in der Pubertät und kann bei einigen Arten so lang sein wie der Fisch selbst. Das sollte eigentlich von Nachteil sein, weil der auffällige Körperschmuck zum einen Raubfische anzieht und zum anderen die Flucht erschwert, da er die Schwimmleistung reduziert. Dem gegenüber steht allerdings der Vorteil, dass Weibchen von Xiphophorus hellerii sowie mehrerer verwandter Arten sich bevorzugt mit Männchen paaren, die ein besonders langes Schwert tragen.

Die genetischen Grundlagen dieser Verlängerung der Schwanzflosse bei Xiphophorus hellerii waren bislang unbekannt. Das Wissen darüber ist jedoch notwendig, um Hypothesen über die Rolle der sexuellen Selektion auf molekulargenetischer Ebene prüfen zu können.

Auf der Suche nach den verantwortlichen Genen arbeitete sich die Studie schrittweise voran. Am Anfang wurden alle Gene charakterisiert, die spezifisch im Schwertfortsatz der Schwanzflosse aktiv sind, nicht aber in den Flossenregionen, die kein Schwert ausbilden. Dieser Prozess ergab einen Satz von 329 differentiell exprimierten Genen in allen sogenannten Schwert-Transkriptomen. Ein Transkriptom ist die Gesamtheit der Gene, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Zelle aktiv sind.

Die Überlegung, dass Gene, die für die Schwertbildung verantwortlich sind, nur bei Männchen exprimiert werden, sorgte im nächsten Schritt für eine deutliche Reduktion der Gen-Kandidaten. Nach diesem Prozess blieben noch 255 der ursprünglich 329 Gene übrig. Eine genetische Kartierung sollte im Anschluss daran die immer noch hohe Zahl von 255 Gen-Kandidaten weiter reduzieren. Durch ein Kreuzungsexperiment konnte ein Chromosom-Abschnitt auf Chromosom 13 identifiziert werden, der Einfluss auf die Ausprägung eines phänotypischen Merkmals hat. In diesen auffälligen Teilen des Genoms erwies sich ein Gen mit der Bezeichnung kcnh8 schließlich als das entscheidende für die Entwicklung des männlichen Merkmals.

Neuronales Gen mit neuer Funktion
Die nun vorgelegten Befunde deuten darauf hin, dass ein neuronales Gen während der Evolution des männlichen Schwerts vor etwa drei bis fünf Millionen Jahren rekrutiert wurde, also früh in der Gattung der Schwertträger. Die neue Funktion ist nicht auf Evolution innerhalb des Gens zurückzuführen, sondern auf Veränderungen in seiner Genregulation. Tatsächlich zeigen Experimente, dass kcnh8 im Schwert während der normalen Entwicklung und nach der Behandlung mit männlichen Hormonen in der Region, in der das Schwert organisiert wird, stark hochreguliert ist. In fast allen anderen Flossenbereichen der Männchen und in weiblichen Schwanzflossen wird es hingegen nur schwach exprimiert. Darüber hinaus zeigen weitere Studien einen direkten Zusammenhang zwischen Stärke der Genexpression von kcnh8 und der Länge der Schwerter.

Faktenübersicht:

  • Originalpublikation: Manfred Schartl, Susanne Kneitz, Jenny Ormanns, Cornelia Schmidt, Jennifer L. Anderson, Angel Amores, Julian Catchen, Catherine Wilson, Dietmar Geiger, Kang Du, Mateo Garcia-Olazábal, Sudha Sudaram, Christoph Winkler, Rainer Hedrich, Wesley C. Warren, Ronald Walter, Axel Meyer, John H. Postlethwait. The Developmental and Genetic Architecture of the Sexually Selected Male Ornament of Swordtails. Current Biology, available online 3 December 2020. https://doi.org/10.1016/j.cub.2020.11.028
  • Studie untersucht die genetische Grundlage für die Verlängerung der Schwanzflosse beim Schwertträger als klassisches Beispiel für sexuelle Selektion
  • Mit Beteiligung des Evolutionsbiologen Prof. Dr. Axel Meyer von der Universität Konstanz, von Prof. Dr. Manfred Schartl, Seniorprofessor am Lehrstuhl für Entwicklungsbiochemie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, und dem Labor von Professor John Postlethwait an der University of Oregon in den USA
  • Die Forschung in Konstanz wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) durch mehrere DFG-Einzelprojekten über zehn bis zwanzig Jahre gefördert.