Mit mehr Vertrauen in die Demokratie
Ein im Rahmen des Projekts VisArgue an der Universität Konstanz entwickeltes Analyseinstrument hat die Schlichtungsverhandlungen zu „Stuttgart 21“ untersucht – Erste Ergebnisse wurden in Stuttgart vorgestellt.
Das interdisziplinäre Projekt VisArgue hat an der Universität Konstanz ein automatisches analytisches Instrument entwickelt, das neue Einsichten in die Funktionsweise von Argumentationsmustern in politischen Verhandlungen erlaubt. Am Beispiel des Schlichtungsverfahrens zu „Stuttgart 21“ konnten die Sprachwissenschaftlerin und Sprecherin des Projekts Prof. Dr. Miriam Butt, die Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Katharina Holzinger und der Informatiker Prof. Dr. Daniel Keim in Stuttgart ihre Ergebnisse präsentieren. Das Fazit zu der von Heiner Geißler moderierten Mediation zu „Stuttgart 21“ fiel positiv aus.
„Bürgerbeteiligung ist in den letzten fünf Jahren zu einem selbstverständlichen Teil im Planungs- und Gesetzgebungsverfahren der Verwaltung geworden. Wir haben viel Kompetenz entwickelt und die Beteiligungskultur deutlich verbessert“, sagte Gisela Erler, Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung im Staatsministerium Baden-Württemberg, beim abschließenden Workshop in Stuttgart. Die an der Universität Konstanz erarbeitete Analysesoftware wird künftig dazu genutzt werden können, sogenannte deliberative Verfahren wie Mediation, Diskurse und Bürgerdialoge auf Ausmaß und Effekte von Argumentation zu untersuchen. Der Vorteil des Tools gegenüber „manuellen“ Verfahren besteht in der effizienteren Bearbeitung großer Textmengen.
Das neue Instrument basiert auf der Theorie der deliberativen Kommunikation, die besagt, dass Konflikte durch den rationalen Austausch von Argumenten beigelegt werden können. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt hat die deliberativen theoretischen Vorgaben in die vier Dimensionen Partizipation und Inklusion, Gesprächsatmosphäre und Respekt, Argumentation und Rechtfertigung sowie Entgegenkommen und Überzeugung unterteilt. Die von der Politikwissenschaft formulierten Dimensionen wurden mittels textanalytischer und computerlinguistischer Methoden in 53 Maße zerlegt.
Mit dieser automatischen Verarbeitung wurde es möglich, die rund 9.000 Redebeiträge, die in 65 Stunden Diskussion von zirka 70 Sprecherinnen und Sprechern bei der Mediation zu „Stuttgart 21“ bestritten wurden, auf ihre Argumentationsstruktur hin zu analysieren. Mittels Text Mining durchsuchte der Informatiker Daniel Keim den Textkorpus zusätzlich nach Grundmustern wie zum Beispiel schnelle Wortwechsel. Vor allem war es jedoch Aufgabe der Informatik, die Ergebnisse der sprachwissenschaftlichen Algorithmen visuell umzusetzen und so der menschlichen Analyse zugänglich zu machen.
„Unsere Ergebnisse sagen, dass Gegner und Befürworter ungefähr gleichmäßig zu Wort gekommen sind, dass man weitgehend fair und respektvoll miteinander umgegangen ist, dass alle Beteiligten Argumente präsentiert und Schlussfolgerungen gezogen haben und alle Konzessionen gemacht haben“, lautet das Fazit der Politologin Katharina Holzinger. Die Ergebnisse stimmen insofern mit der Zielsetzung des Mediationsverfahrens überein, die Moderator Heiner Geißler so zusammenfasste: „Wichtiges Ziel der Stuttgarter Schlichtung war es, durch den Faktencheck als einer neuen Form unmittelbarer Demokratie wieder ein Stück Glaubwürdigkeit und verloren gegangenes Vertrauen in die Demokratie zurückzugewinnen.“
Die Analysesoftware wird auf der Infrastrukturplattform CLARIN einer breiten Forschungsöffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.