Der Rohstoff Asbest
Ausflug in die Mineralogie
Der Bauplan
Asbestminerale sind sogenannte Silikate, und diese sind Hauptbestandteil aller kristallinen Gesteine.
Sehen wir uns einmal die chemische Zusammensetzung unserer Erdkruste an: Sie besteht zu
- 46% aus Sauerstoff und rund
- 28% aus Silizium.
An dritter Stelle kommen Aluminium, Eisen, Magnesium und Calcium. Alles andere sind "Spuren". Es liegt auf der Hand, dass die Verbindung von Silizium und Sauerstoff in der Natur daher recht beliebt ist - es ist ja genug davon da.
Der Baukasten der Natur
Tetraeder
Gruppiert man um ein Silizium-Atom 4 Sauerstoff-Atome erhält man einen Tetraeder (eine dreieckige Pyramide). In der Mitte sitzt Si, an den 4 Ecken je ein O. Die chemische Formel wäre SiO4 - was aber wegen der lästigen "Stöchiometrie" so nicht geht.
Sauerstoff hat 2 sogenannte Valenzelektronen, die nicht gerne alleine bleiben wollen. Das Sauerstoff-Ion ist deshalb 2-fach negativ geladen (O2-), Si meistens 4-fach positiv (Si4+), dem fehlen dann nämlich im Valenzband 4 Elektronen zum Glücklichsein. Da Moleküle u.a. aufgrund unterschiedlicher Ladungen der Atome (genauer: Ionen) zusammenhalten, strebt die Natur Ladungsneutralität an. SiO4 ist aber nicht neutral sondern hat noch 4 negative Ladungen übrig - korrekt wäre die Schreibweise (SiO4)4-. Was nun?
Oktaeder
Ein anderer wichtiger Baustein ist der Oktaeder: Im Zentrum befindet sich meist Aluminium oder Magnesium. Drumherum gruppieren sich diesmal 6 Sauerstoffe bzw. OH Gruppen (Hydroxyl-Ionen). Der Oktaeder hat 8 dreieckige Flächen und sieht aus wie 2 viereckige Pyramiden, die an ihrer Grundfläche zusammengewachsen sind. Nehmen wir an, in der Mitte sitzt Mg2+, drumherum haben wir 4 mal O2- und 2 mal (OH)-. Das mit der Ladung klappt gar nicht! 2 mal plus gegenüber 10 mal minus. 8 negative Ladungen müssen ausgeglichen werden. Das geht alleine mit Oktaedern oder "nur" 6 Ecken nicht!
Gitterbau und Netzwerke
Ein einzelner Tetraeder wäre nicht ladungsneutral und eher instabil. Es gibt zwar Silikate, die aus einzelnen Tetraedern bestehen, wie z.B. der Olivin (wichtig für Asbest -> siehe weiter unten). Olivin "neutralisiert" die Ladungen durch andere Metallionen drumherum. Die meisten Silikate vernetzten sich jedoch in der Art, dass sich Tetraeder Eckensauerstoffe teilen. Dabei sind fast alle Kombinationen möglich, Hauptsache, der Sauerstoffanteil wird in der Summe verringert bzw. der Siliziumanteil erhöht. Die Natur ist da recht kreativ. Es vernetzen sich neben den solitären Tetraedern auch Gruppensilikate, Kettensilikate, Bänder- sowie Schichtsilikate und schließlich Gerüstsilikate stets zu einem regelmäßigen Gitter.
Im 3D Gitter ergibt sich die Summenformel* SiO2 oder Kieselsäure. Der bekanntere Name für dieses Gerüstsilikat ist Quarz.
*die chemische Formel für eine kleinste Einhheit oder "Einheitszelle"
Also: das wichtigste Bauelement der Silikat-Minerale und Gesteine ist der SiO4 Tetraeder.
Tetraeder und Oktaeder mögen sich
Sehr beliebt bei den sogenannten Schichtsilikaten ist die Kombination aus Oktaedern und Tetraedern. Sie bilden Schichten die sich wie ein Stapel Papier aufeinanderlegen. Dabei bilden immer entweder je eine Tetraederschicht und eine Oktaederschicht eine Einheit (genannt: T-O) oder 2 T-Schichten bauen mit einer O-Schicht in der Mitte ein Sandwich (T-O-T).
Mal sehen, ob es jetzt mit der Ladung klappt: Das Beispiel im Bild ist das Schichtsilikat Talk - oder Talkum (Babypuder!).
Die Formel der Einheitszelle ist Mg3 Si4O10 (OH)2. Wir haben 3 mal 2 plus (also positive Ladungen) und 4 mal 4 plus, macht zusammen 22 mal plus. Dann haben wir 10 mal 2 minus (negative Ladungen) und 2 mal 1 minus, macht auch 22, aber minus. Ladungsausgleich - passt!
Berühmte Schichtsilikate
Berühmte Schichtsilikate sind die beiden Minerale der Glimmer-Gruppe Biotit und Muskovit. Letzteres bedeutet auf russisch "Moskauer Glas", weil es wegen seiner großen, dünnen und glasklaren Kristalle früher als Fensterglas eingesetzt wurde. In der REM Aufnahme (Bild rechts) sieht man sehr schön die blättrige Struktur des Muskovits.
In Ihrer Kosmetik und auf besonders glattem Papier für Tintenstrahldrucker befindet sich gerne das Tonmineral Kaolinit - englisch: China Clay: Der berühmte Rohstoff für Porzellan.
Talkum-Puder oder in seiner festen Form: Speckstein, ist nicht nur bei Bildhauern beliebt, sondern auch als technische Anwendung in Babypuder etc.
Vom Baukasten zu Asbest
Warum die ganze Vorgeschichte?
Um zu verstehen, was Asbestminerale sind und warum sie das können oder anrichten, was sie eben tun, muss man sich den Bauplan ansehen:
Bleiben wir zunächst bei den Schichtsilikaten
Hier gibt es im Zusammenhang mit Asbest 2 sehr wichtige Gruppen:
- die Pyrophyllit-Talk Gruppe und
- die Kaolinit-Serpentin Gruppe.
Die Pyrophyllit-Talk-Gruppe sind sogenannte T-O-T Schichtsilikate, also je 2 Tetraeder-Schichten oben und unten und einer Oktaederschicht in der Mitte. Beim Pyrophyllit enthalten die Oktaeder Aluminium und beim Talk ist es Magnesium. Die Tetraederschicht ist immer gleich: SiO4.
Nehmen wir an, wir nehmen den beiden Mineralen je eine Tetraederschicht weg! Dann bauen wir 2 T-O Schichtsilikate. Das Mineral mit Aluminium - Phyrophyllit - wird zu Kaolinit. Gleicher chemischer Stoffbestand, nur eben anderes Verhältnis. Das Magnesium-Mineral Talk wird zu Serpentin.
Pyrophyllit (T-O-T) | Kaolinit (T-O) |
---|---|
Al2 [(OH)2 Si4O10] | Al2 [(OH)4 Si2O5] |
Talk (T-O-T) | Serpentin (T-O) |
---|---|
Mg3 [(OH)2 Si4O10] | Mg3 [(OH)4 Si2O5] |
Allein: Niemand nimmt einem Talk eine Tetraederschicht weg - einfach so. So entsteht Serpentin nicht. Das Bild soll nur den wirklich einfachen Unterschied in der Struktur und die Ähnlichkeit der chemischen Zusammensetzung erläutern.
Abbildung: Darstellung der Strukturen der Pyrohyllit-Talk-Gruppe und der Kaolinit-Serpentin-Gruppe. Warum die Serpentinstruktur krumm ist, erfahren Sie gleich.
Ursprung von Asbest: Der Erdmantel
Waren Sie schon mal in Bad Harzburg? Fahren Sie mal hin - ist schön da, nicht nur wegen der Mineralogie! Sehen Sie sich mal den typischen Harzburgit (Bild links) an: Ein pechschwarzes Gestein - Mantelperidotit - mit schwarzem Klinopyroxen (die heißen halt so ...) und dünnen hellgrünen Äderchen - Serpentin, der durch die Umwandlung von Olivin und Klinopyroxen entstanden ist.
Serpentin entsteht durch die Umwandlung (Alteration) von Pyroxenen (z. B. Enstatit Mg2Si2O6) oder Olivin bzw. Forsterit (Mg2SiO4) unter Aufnahme von Wasser. Dies sind typische Minerale des Erdmantels und lieben dementsprechend sehr hohe Temperaturen von rund 1800°C (Schmelztemperatur von Forsterit ca. 1900°C). Sinken Temperatur und Druck wesentlich, fühlen sich diese Minerale nicht mehr wohl. Denen ist es hier "oben" schlicht zu kalt, zu feucht und zu, naja, wenig Druck. Kommen sie dann noch in Kontakt mit Wasser, können sie nicht mehr wiederstehen und wandeln sich zuerst in den Serpentin Antigorit um und schließlich unterhalb von ca. 260°C in Chrysotil.
Alles "nur" Chemie!
Forsterit + Wasser -> Serpentin + Brucit (Magnesiumhydroxid) |
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2 Mg2 [SiO4] + 3 H2O -> Mg3 [(OH)4 Si2 O5] + Mg(OH)2 |
Das Besondere bei Serpentin ist, dass dummerweise die T-Schicht und die O-Schicht nicht genau aufeinander passen. Die T-Schicht ist zu klein. Das ganze Paket wellt sich oder rollt sich schlimmstenfalls auf.
Da haben wir den Salat: Unser Asbest. Das Mineral heißt Chrysotil. Der "weiße Asbest" oder "Faserserpentin".
Im Bild zu sehen: Chrysotil Fasern im Querschnitt. Jeder der "Baumringe" besteht aus je einer T- und einer O-Schicht. Zusammen sind sie genau 7 Angström dick, also 0,7 Nanometer (7 x 10-10 m) oder 0,7 milliardstel Meter. Der Durchmesser einer einzelnen Faser ist nicht größer als 40 nm, also 40 milliardstel Meter. Ganz schön dünn!
Das Dumme ist: Die Chrysotil-Variante des Serpentins ist die, die bei uns an der Erdoberfläche stabil ist und nicht weiter verwittert oder zerfällt. Die andere Variante Antigorit (Bild unten) ist eher bei hohen Temperaturen stabil. Man findet es auch in der Natur, nur eben nicht so häufig.
Langsam ergibt sich das Bild, oder?
Abbildung: Beim Antigorit sind die Ebenen auch wellig, wechseln aber regelmäßig die Ober- und Unterseite, so dass keine Rollen entstehen.
Skandal! Asbest im Babypuder!
Haben Sie kürzlich die Nachrichten verfolgt?
Schauen Sie sich noch mal den Unterscheid zwischen Talk und Serpentin an. Genau: Beim Asbest fehlt lediglich eine Tetraederschicht, alles andere, insbesondere die chemische Zusammensetzung (modal) ist dieselbe. Nur etwas Si und O weniger.
Ganz so einfach ist es aber nicht! Talk liebt hohen Druck und hohe Temperaturen um sich zu bilden, Serpentin eher das Gegenteil. Sie erinnern sich: Die Mg Oktaederschicht und die SiO4 Tetraederschicht passen nicht genau zusammen. Talk braucht schlicht mehr Energie, um diese Verzerrung mit einer zusätzlichen Tetraederschicht auszugleichen und um die Oktaederschicht in der Mitte einzuklemmen. Das muss der Serpentin nicht tun.
Dennoch: Die Chemie stimmt, könnte man sagen! Es kann daher immer wieder vorkommen, dass sich unter den Talk auch ein paar Asbestfasern mischen. Ausnahmen bestätigen die Regel, vor allem in der Natur.
Vom Segen zum Fluch - der gute Ruf ist dahin!
Die ehemals hochgelobten Eigenschaften von Chrysotil liegen auf der Hand: Nahezu unendliche (nach menschlichen Maßstäben) chemische Beständigkeit, hoch-feuerfest, lange, hauchdünne Fasern, die sich leicht weben und zu Textilien verarbeiten lassen und die hohe kostengünstige Verfügbarkeit haben diese Asbestform so beliebt gemacht.
"Asbestos" ist alt-griechisch für "unvergänglich". Im Neu-Griechischen bedeutet asbestos allerdings schlicht "Kalkstein", was geologisch komplett falsch ist. Das soll allerdings nicht heißen, dass Neu-Griechisch falsch ist ... Nur falls ein Grieche bei Ihrem nächsten Griechenand-Urlaub auf einen Fels zeigt und "asbestos" sagt, nicht gleich davonlaufen!
Als Baustoff im Brandschutz steht zumindest eins fest: Wenn ein Gebäude, in dem Asbest verbaut wurde, abbrennt - das Asbest bleibt übrig und sieht dazu noch aus wie neu!
Dass genau diese Eigenschaften aber zugleich auch ein Fluch sind, wurde erst in jüngerer Zeit klar bzw. akzeptiert:
Die Fasern dringen aufgrund ihrer Größe (tausendmal feiner als Haare) bis in die kleinsten Lungenbläschen vor. Sie können ins Gewebe eindringen. Sie bleiben stabil und werden weder aufgelöst noch aus dem Körper transportiert. Sie sind sogar so fein, dass sie bis in die Zellkerne eindringen können und dort die DNA manipulieren - Krebs kann entstehen.
Das funktioniert allerdings nicht nur bei Chrysotil, sondern auch bei den anderen typischen Asbestmineralen: den Amphibolen Krokydolith ("blauer Asbest"), Grunerit ("brauner Asbest") und einigen anderen Mineralen aus der Amphibol-Familie (Tremolit, Aktinolith, Anthophyllit).
Diese Minerale rollen sich zwar nicht auf wie Chrysotil, sie bilden aber die oben beschriebenen SiO4 Bänderstrukturen und wachsen nadelig. Es sind keine feinen Härchen aber ultrafeine, störrische Nadeln. Sie sind nicht so flexibel und biegsam wie Chrysotilfasern, dafür sind sie steifer und brechen leichter.
Eins haben sie gemeinsam: es sind Fasern, die so fein sind, dass die feinsten nur aus wenigen Atomlagen bestehen. Die Ringe der Chrysotil-Schnecken kann man leicht zählen - und jede Schicht ist nur wenige millionstel Millimeter dick.