#GenderChallenge - Exploring Gender Identities Online
Nachtrag zur Online Tagung & Workshop
Vom 18. bis 20. Juli 2021 fand, in Zusammenarbeit mit der Universität Greifswald und dem in Greifswald ansässigen Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung, die Tagung #GenderChallenge – Exploring Gender Identities Online statt (Programm).
Ziel war es, die besondere Rolle der sozialen Medien in der sprachlichen Konstruktion und Aushandlung von Geschlechtsidentitäten zu diskutieren.
Ein Workshoptag, direkt vor Beginn der Tagung, ermöglichte Studierenden und Wissenschaftler*innen aus verschiedensten Forschungsschwerpunkten einen Einblick in das weite Themenspektrum und den dazugehörigen methodischen und ethischen Herausforderungen der Genderforschung zu gewinnen. Im ersten Workshop des Tages, „Exploring the Online Seduction Industry – Methodological and Ethical Aspects“, organisiert von Dr. Sofia Rüdiger (Universität Bayreuth) und Dr. Daria Dayter (Tampere University), konnten Teilnehmende die besondere Forschungslandschaft um pick-up artists (PUAs) kennenlernen. Einen Einblick in die Forschung gibt es hier. Am konkreten Beispiel dieser Communities, wurden Möglichkeiten der Datensammlung und -management besprochen. Der Vormittag führte so durch Besprechungen von Transkriptionsmöglichkeiten bis hin zu ersten Analyseansätzen, in denen Teilnehmende anhand der untersuchten Daten Strategien der PUAs erkennbar machen konnten.
Am Nachmittag führte dann Dr. Jai Mackenzie (University of Nottingham) durch den Workshop „From inception to impact: Developing a study of gender identities online”. Hier konnten Teilnehmende über Forschungsfragen reflektieren: Wie bettet sich die Frage in größere soziale Gefüge und wie kann die Forschung positiven Einfluss nehmen? Anhand dieser Pfeiler wurden dann Forschungszugangsmöglichkeiten, Datenauswahl und Ethik diskutiert. Durchweg hat Dr. Mackenzie anhand von Beispielen ihrer eigenen Forschung eindrücklich zeigen können, wie Forschung zu diesen gesellschaftlichen Themen auch außerhalb der Universität Anwendung findet, beispielsweise im hier verlinkten Video.
Der Workshoptag fand durch die digital geführten Podiumsdiskussion „Rethinking Gender“ einen treffenden Abschluss. Hier wurden besonders relevante Punkte zu Geschlechterforschung in digitalen Medien von Teilnehmenden der Workshops und der Tagung angesprochen und diskutiert. Angerissene Themen befassten sich unter anderem mit dem Umgang mit besorgniserregenden Daten und wie man sich, als Forschende*r, schützen kann. Diese Reflexion wurde besonders gestützt durch die Forschenden die sich mit der manosphere beschäftigen und eigene Erfahrungen teilen konnten. Dr. Frazer Heritage (Birmingham City University) wies bei dieser Gelegenheit auch auf das buddy-system network hin, welches hier ebenfalls zu empfehlen ist. Weitere Inhalte drehten sich im Verlauf der Diskussion um Herausforderungen mit digitalen Daten, insbesondere mit Blick auf ethische Fragestellungen, sowie methodischen Zugängen, welche durch die multimodalen Inhalte der sozialen Netzwerke zunehmend komplex werden.
Der erste Tagungstag wurde eröffnet durch Professor Veronika Kollers (Lancaster University) Keynote Vortrag zu dem laufenden MANTRaP (Misogyny and the Red Pill) Projekt und drei dazugehörigen Beispielstudien. Diese befassen sich, unter anderem, mit Reddit Daten der manosphere Szene (Men’s Rights Activism, MGTOW, incel) und zeigen einerseits verschieden geartete Gruppenidentitäten und Dynamiken innerhalb der einzelnen Gruppierungen, andererseits auch das Gefahrenpotential welche die Gruppierungen nach außen und innerhalb der Gesellschaft tragen.
Weiterlesen
Heritage, Frazer & Koller, Veronika (2020). Incels, in-groups, and ideologies: The representation of gendered social actors in a sexuality-based online community. Journal of Language and Sexuality, 9(2), 152-178. https://doi.org/10.1075/jls.19014.her
Krendel, Alexandra and McGlashan, Mark and Koller, Veronika (2021). The representation of gendered social actors across five manosphere communities on Reddit. Corpora, 17 (2). [Im Druck] preprint: https://eprints.lancs.ac.uk/id/eprint/155332/
Im darauffolgenden Panel wurde sich ebenfalls mit verschiedensten online Communities beschäftigt. Ein interessanter Einblick wurde hier in der Gruppendiskussion ermöglicht, in der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen MGTOW, incels und trad wives herausgestellt wurden. Über die anwendungsorientierte Diskussion wurde hier die Frage aufgeworfen, wie diese Communities Anhängerschaft kultiviert und auch wenn es aufgrund der sehr komplexen Gefüge natürlich keine eindeutige Antwort gibt, so wurde von den Forschenden besonders die Normalisierung und Relativierung von misogynen Inhalten herausgestellt.
Das letzte Panel des ersten Tagungstages beschäftigte sich insbesondere mit quantitativen Zugängen zu digitalen Geschlechtskonstruktionen. Hierbei wurde sich besonders auf die Datenerhebung und -bearbeitung konzentriert. Hervorzuheben ist auch hier die Vielseitigkeit der Forschungslandschaften: Während das vorhergehende Panel bereits das Nutzen von online Foren wie Reddit vorgestellt hat, konnten hier Einblicke in Forschungen mit World of Warcraft oder Twitter gewonnen werden. Dies setzte sich auch am nächsten Tag fort, unter anderem in dem Panel zu multimodalen Forschungszugängen zu Instagram und entstehenden Fragestellungen zu ethischer Forschung und Autor*innenschaft.
Im letzten Panel wurden verschiedene Diskursstrukturen (in Facebook Nachrichtenüberschriften und Wikipedia Diskussionsforen) mit Blick auf geschlechterdiskriminierender Formulierungen vorgestellt. Auch hierbei wurde über die digitale Medienlandschaft diskutiert, insbesondere mit Blick auf die verschiedenen Affordanzen, auf die eine Forschung methodisch eingehen sollte.
Vor der abschließenden Keynote wurden nun die lightning talks eingeleitet. Hierbei konnten sechs Nachwuchswissenschaftler*innen ihre laufenden Forschungsprojekte im Format drei Minuten – drei Folien vorstellen. Die beste Vortragende, Rachel McCullough (Old Dominion University) konnte mit ihrem Vortrag “Wahmenz speech: the misappropriation of women's speech patterns in digital misogyny“ überzeugen, wobei auch alle anderen Teilnehmenden die Aufgabe wunderbar gemeistert haben.
Zuletzt hat dann Dr. Christian Ilbury in seiner Keynote zu „Gender, sexuality, and the digital commodification of linguistic style” über die digitale Stilisierung von, unter anderem, geschlechtsbezogenen ‚hun‘ Stereotypen gesprochen, welche sich über verschiedene sprachliche und visuelle Merkmale identifizieren lassen. Er berichtet, dass sich verschiedene Indexe produktiv zusammentun um eine bestimmte Persönlichkeit im digitalen Rahmen performativ auszuhandeln. Christian Ilbury vermittelt eindrucksvoll und mit vielen Beispielen wie wichtig es ist von Typisierungen bei Analysen abzusehen und vielmehr auf komplexe stylistische Kombinationen in der Identitätenkonstruktion zu achten.
Weiterlesen
Ilbury, Christian (2019). ‘Sassy Queens’: Stylistic Orthographic Variation in Twitter and the Enregisterment of AAVE. Journal of Sociolinguistics. 24(2). 245–264. https://doi.org/10.1111/josl.12366
Ilbury, Christian. [Im Druck]. Researcher-Imposed Context Collapse in Digital Ethnographic Research. In Sirkku Kotilainen (ed.) Online Handbook on Mixed-Methods.
Organisation
- Dr Morana Lukač, Universität Greifswald
- Dr Susan Reichelt, Universität Konstanz
- Luisa Grabiger,Universität Greifswald
- Alice Cesbron, Universität Greifswald / University of Paris
- Prof Dr Theresa Heyd, Universität Greifswald